Neulich hat Gofi behauptet, dass Religion der Kunst schaden kann. Das interessiert Jay genauer: Welches Problem hat Gofi mit religiöser Kunst? Warum sollte das schwierig sein, wenn Kunst Glaubensaussagen macht? Gibt es nicht auch positive Beispiele? Wir unterhalten uns über unsere religiöse Vergangenheit, über schöne und schlimme Kunsterfahrungen, und darüber, welche Künstler*innen uns beeindrucken – selbst wenn sie klare Positionen vertreten. Unter anderem sprechen wir über Bach, Feine Sahne Fischfilet, Rage Against the Machine, Chagall, Schlingensief, Kendrick Lamar, U2, Leonard Cohen, Jeff Buckley, Daniel Kehlmann, Goethe, Rio Reiser und Keith Green.
Hey Erben,
tolle Folge (wieder einmal)!
Die Fragen „Was kann/ist/darf Kunst?“ können noch endlos ausgeschöpft werden.
Und auf die Folge zu Kunst vs. Unterhaltung freue ich mich auch schon sehr.
Ist ja auch ein altes Thema: „High-Brow vs Low-Brow“ – und wie Andy Warhol, Thomas Pynchon und viele, viele mehr diese Grenzen aufbrechen wollten.
(In der deutschsprachigen Musikwissenschaft gab/gibt es die Unterscheidung zwischen E-Musik (ernst) und U-Musik (Unterhaltung))
Nun aber zur Folge:
Ich war bis zu den letzten 20min voll bei Jay!
Zumal gerade Rage Against The Machine oder Black Lives Matter-Graffittis auch nur DIE eine ganz klare Message haben – da fand ich Gofi nicht sehr konsequent, wenn er RATM abfeiert, aber die gleiche Preachiness/Eindeutigkeit bei Lobpreis „gefährlich für die Kunst“ findet. (Wobei die Frage zusätzlich ist, ob die Lobpreiser*in sich als Künstler*in versteht – oder nur als religiös Praktizierende*r/Anleitende*r)
Doch als ihr dann am Schluss (*SPOILER-WARNUNG*) nochmal auf die Verbindung von Message und Form eingegangen seid, da hatte ich einen Aha-Moment.
Genau!
Die BLM-Graffitis nutzen eine DER afroamerikanischen Kunstformen als Medium für ihre Message, Tom Morello dekonstruiert die Musik, so wie Zack de la Rocha die Scheinheiligkeit des Kapitalismus zerpflückt,
dann wird Kunst draus.
Dehalb funktionieren manche Texte auch nur in bestimmten Medien.
Ich denke da an die Graphic Novel „Watchmen“, die sich in der Verfilmung nicht groß von anderen Comicverfilmungen unterscheidet, aber in ihrer Buchvorlage echte Weltliteratur ist (vielschichtig, mehrdeutig, selbstreferentiell, dekonstruktivistisch, intertextuell – mindblowing)
Nun stellt sich mir dann aber auch eine Frage (Hinweis auf einen meiner Themenvorschläge ;-)): Wie ist das, wenn die Ästhetik und die Message sich perfekt ergänzen, neue Wege gehen, beeindrucken, Ehrfurcht wecken, tausende andere Kunstwerke bis in unsere Zeit prägen und beeinflussen… auch wenn die Message ziemlich eindeutig ist – und es aber nicht RATM-Songs, sondern die Filme von Leni Riefenstahl sind?
Was ist mit guter Kunst für die falsche Sache?
(So manche Sozialistisch-Realistischen Murals oder Propaganda-Plakate gehören m.E. auch in die Kategorie.)
Wahrscheinlich wird da keine eigene Folge draus. Mit dieser Folge und mit der über Cancel Culture wart ihr eigentlich schon zweimal sehr nahe dran…
Liebe Grüße
Danke Gerrit! Ich möchte gerne zu meiner Verteidigung darauf hinweisen, dass ich RATM selbst gegen meine eigene Argumentation ins Feld geführt habe. 🙂 Ich wollte damit sagen, dass ich mir selbst nicht sicher bin, ob ich Recht habe. Zum Schluss kommen wir in diesem mäandernden Gespräch ja zu einem Ergebnis, das mir nur in Teilen Recht gibt. nämlich dass Kunst, egal wie ‚klar‘ sie in ihrer Aussage ist, immer vielschichtig bleibt und mehrere Deutungsmöglichkeiten zulässt, wenn sie gut ist. Unter diesem Gesichtspunkt komme ich dann auch wieder mit religiöser oder politischer Kunst klar. An und für sich jedenfalls, im Einzelfall möglicherweise nicht.
Deine Themenliste ist übrigens sicher verwahrt. Sie wird uns noch weiterhelfen. 🙂
Hey Gofi,
Danke für die Klarstellung. Ich hatte dich auch schon so verstanden. Das Tolle an euren beiden Podcasts ist ja gerade, dass ihr immer mit euch selbst und miteinander im Gespräch bleibt.
Ich hatte nur etwas überspitzt kommentiert.
Ein schönes Nebenprodukt dieser Folge ist übrigens, dass die RATM Alben bei mir jetzt wieder in Dauerschleife laufen. Bei manchen Textzeilen bekomme ich immer noch ne Gänsehaut. 🙂
Also auch Danke dafür!
Hallo Gerrit,
Im Ultimate Cut versucht der Watchmen-Film genau dieser Einschränkung entgegen zu wirken und macht das auch recht gut, finde ich (das Piratencomic zB wird zum Film im Film). Wobei er mit 215 Min schon ziemlich lang ist (fast 30 Minuten länger als der Directors Cut, der seinerseits schon 25 Min länger als die Kinofassung war). Wenn Du den UC noch nicht kennst, empfehle ich ihn dir hiermit. 🙂
Aber ja, an die Comic-Vorlage reicht auch der UC nur bedingt heran. Und genau, die Graphik Novell ist richtig große Kunst. Definitiv.
Kennst du die HBO-Fernsehserie Watchmen vom 2019 von Damon Lindelof? Die ist eigentlich ein Sequel zu den Comics und greift zwar immer wieder auf die Vorlage zurück, muss sich aber nicht an ihr abarbeiten, sondern schafft auf deren Grundlage etwas eigenständiges, was aber komplett dem Geist der Comics entspricht (finde ich jedenfalls) und exakt das ist, was Du den Comics bescheinigst (vielschichtig, mehrdeutig, selbstreferentiell, dekonstruktivistisch, intertextuell – mindblowing). Die haben zB sogar extra eine Internetseite mit fiktiven Fachartikeln etc pro Episode gemacht, um diesen Strang des Comics auch aufzunehmen. In der Serie kann man ähnlich versinken wie in der Graphik Novell. Und wenn Du sie gesehen hast, könntest Du hinten drauf noch den schönen HBO-Podcast zu der Serie hören… 🙂
Der Film ist gut (auch wenn es ärgert, dass sie am Ende so deutlich von der Vorlage abgewichen sind) und im UC auch noch mal näher am Geist des Comics – die HBO-Serie ist aber der absolute Hammer. Hier spreche ich eine unbedingte Empfehlung aus.
Super Frage!!! Mit einem tollen Beispiel! Was ist, wenn großartige Kunst etwas falsches transportiert oder gar promotet?
Meine augenblickliche Antwort darauf wäre wohl: Kunst muss das dürfen (in den Grenzen des Rechtsstaates). Wenn sie das nicht mehr darf, steht sie in der Gefahr zum Papiertiger zu verkommen. Aber du hast vollkommen Recht, hier fängt die Frage (und meine Antwort) erst an spannend zu werden. Mal schauen, vielleicht können wir ja tatsächlich noch mal darüber sprechen…
LG,
der Jay
Hey Jay,
Danke für den Tipp mit dem UC.
Auf die Serie hatte ich auch schon ein Auge geworfen, bin aber auch noch nicht dazu gekommen (Und deine Leftovers-Empfehlung steht ja auch noch aus…)
Was ich richtig geil finde – und gerade zum ersten Mal gehört habe – ist die Sache mit den fiktiven Fachartikeln zur Serie. Das ist ja der Hammer! Eine gekonnte Umsetzung dieses Elements in der Comicvorlage.
Danke für die Empfehlungen!
Hey, liebe Erben!
Habe gerade einen Trailer für die Arte-Reihe „Störfaktor Kunst“ gesehen, wo es auch eine Folge zu „Glaube und Religion“ gibt, wobei ich vermute, dass bei „Macht und Politik“ noch mehr das Thema eures Talks vorkommt. Habs noch nicht geschaut und kann von daher nicht sagen, ob und wie gut die Reihe ist, aber es sah vielversprechend aus…
https://www.arte.tv/de/videos/089996-002-A/stoerfaktor-kunst/
Liebe Grüße & „nicht heute“
Danke für den Tipp, Derek!
Hallo zusammen,
eine sehr interessante Folge! Sehr spannend. Und irgendwie haben beide recht: natürlich darf man religiöse Kunst machen und ja, gute Kunst ist vielschichtig. Form und Inhalt finde ich eigentlich beides so wichtig, dass man sich über beides gleich viele Gedanken machen sollte. Auch wenn man eine Message künstlerisch verarbeiten und „rüberbringen“ will, muss man sich überlegen welche Kunstform zu den Inhalten passt. In der bildenden Kunst kann auch das verwendete Material den Inhalt unterstützen.
Ich mache figurative Skulpturen und versuche mit meinen Figuren Gefühle darzustellen. Das heißt, ich habe eine Vorstellung, die ich transportieren will. Und das gelingt auch immer wieder. Aber meine besten Arbeiten sind die, in denen die Betrachtenden Dinge entdecken, die ich nicht im Kopf hatte, als ich die Skulptur erdacht und gemacht habe. Und doch sind diese Dinge Bestandteil der Arbeiten, weil sie im besten Sinne mehrdeutig sind. Aber selbst, wenn ein/e BetrachterIn nur an der Oberfläche bleibt, kann er/sie ein Musikstück, ein Bild, eine Skulptur einfach schön finden und sich davon berühren lassen. Dann ist schon viel erreicht. Viele lassen sich von Kunst gar nicht mehr berühren.
Und vielleicht entdeckt diese Person ja dann – nachdem sie das Musikstück oft gehört, das Bild oder die Skulptur oft angeschaut, den Text mehrfach gelesen hat – das da noch viel mehr ist, als zuerst gedacht.
Meine Kunst ist nicht vordergründig christliche Kunst – aber ich bin Christ und das kann man in meiner Kunst auch entdecken – wenn man will. Aber ich möchte niemanden anpredigen. Letztlich liegt es nicht bei mir, ob sich jemand von meiner Arbeit angesprochen fühlt oder nicht.
Sehr cooler Podcast! Vielen Dank für eure Anregungen!
Liebe Grüße
Rainer
Danke, Rainer! Kann mich mit dem, was du schreibst, total identifizieren. Danke für dein Lob!
Für die religiös angehauchten Künstler*innen gibt es hier ein Buch, nämlich „God’s Creative Gift—Unleashing the Artist in You: Bible Studies to Nurture the Creative Spirit Within“.
Hab es noch nicht gelesen, aber bei (im Moment) 2,41€ kann man nicht so viel falsch machen…:
https://smile.amazon.de/Gods-Creative-Gift-Unleashing-Artist-You-ebook/dp/B00C69S2NA/ref=mp_s_a_1_3?dchild=1&keywords=wipf+and+stock&qid=1626708393&s=digital-text&sr=1-3
Liebe Grüße
Hoi zämä
Tolle Folge, nur der Delirious?/Radiohead Vergleich liess mich kurzzeitig erschaudern 🙂 Auch wenn ich beide ganz gut mag und den Ausführung zu Delirious? zustimme, spielt eine der beiden Bands doch in Sachen Kunst in einer eigenen Liga!
Danke für die beiden Podcasts, immer wieder inspirierend!
Grüsse aus Zürich (die Chagall-Fenster sind übrigens in der Fraumünster-Kirche zu bestaunen)