Marco Michalzik: Vom Fallen

Es gibt schöne Worte. Es gibt dieses Gefühl, völlig verstanden worden zu sein, von einem Satz, den man in einem Buch liest und dass es jemandem auf wundersame Weise gelungen ist, das auszudrücken, was man selbst gefühlt, aber nicht zu formulieren imstande war. Es gibt tröstliche Worte. Worte, die einen motivieren weiterzumachen, wo man sich selbst schon am Ende gewähnt hatte. Es gibt Worte, die Liebe und Wohlwollen und Mitgefühl ausdrücken und die man für eine sehr lange Zeit mit sich herumträgt. Es gibt letzte Worte, die besonders bedeutungsvoll bleiben, weil ihnen keine weiteren mehr hinzugefügt werden können. Und es gibt hässliche Worte. Böse Worte. Manchmal, mitten in einem Gespräch, fällt ein Wort oder ein Satz, der mich unerwartet heftig trifft. Vielleicht, weil ich völlig ohne Schutzmechanismen und offen vor der anderen Person stand. Ich frage mich, warum mich ein schlechtes Wort mehr trifft, wenn ich am selben Tag auch hundert gute gehört habe?

Manchmal fällt so ein Wort vielleicht auch ganz absichtslos. Wut oder Angst oder Trauer oder Erregung rütteln so lange an ihm herum, bis es wie in Zeitlupe losbricht und der Schwerkraft nachgibt. Einmal gefallen, lässt es sich nicht wieder einfangen. Dann braucht es vielleicht viele gute und schöne und wahrhaftige Worte, um die Brüche zu bandagieren, die das gefallene Wort verursacht hat.

Da ist ein Wort gefallen

Da ist ein Wort gefallen,
hat sich aus Synapsen gelöst
und sich von Gedankenlarve zum
Verbalreptil verpuppt.
Raubtierbuchstabenkombination
Greift aus dem Hinterhalt an,
lauert und bedauert selten
Ein Echo im Gepäck
aus einem wolkenlosen
Schweigehimmel
Da ist ein Wort gefallen.
Hat sich gelöst, wie ein
loser Ziegel aus einem
windschiefen Hausdach
nach dem Sturm.

//

Da ist ein Wort gefallen,
als ich gerade darunter
hergelaufen bin.
Hat mich mit Wucht
an der Würde getroffen
und hat mich stolpern
und zucken und perplex
schwanken lassen,
ohne nach Oben-Blick
Umgeknickt
und aufgeprallt auf dem Boden
weil ich es nicht kommen gesehen hatte,
liegen die Tatsachen jetzt klaffend offen.
Da ist ein Wort gefallen
und die Schwerkraft hat
ihr Übriges getan
und meine Kraft reicht
nicht aus, um es zum
Absender zurückzuwerfen.

//

Obwohl ich werfen wollen würde
aber andererseits:
Was genau sollte das ändern?

Das Gedicht habe ich kürzlich in einem meiner älteren Notizbücher wiedergefunden. Manche Sachen, die ich unterwegs schreibe, vergesse ich einfach, wenn ich das vollgeschriebene Notizbuch in die Schublade lege und mir ein neues kaufe. Ich weiß nicht mehr genau, was der Anlass war oder ob es überhaupt einen konkreten Auslöser gab. Leider habe ich weder Ort noch Datum daneben vermerkt. Möglicherweise habe ich es während eines Schul-Workshops in mein Notizbuch gekritzelt, als die Schülerinnen und Schüler sich ihrerseits an der gestellten Schreibaufgabe versuchten. Mit Schulklassen rede ich oft über die Bedeutung und die Wirkung von Worten. Nicht nur im Kontext von Lyrik oder Kreativem Schreiben, sondern auch und vor allem bezogen auf das alltägliche Sprechen und den Umgang miteinander und was so ein gutes oder verletzendes Wort für einen Einfluss auf ein Leben haben kann. Das klingt pathetischer, als es gemeint ist und natürlich möchte ich den Gedanken auch nicht unnötig aufladen und überstrapazieren. Aber ich persönlich finde es manchmal hilfreich, daran erinnert zu werden, dass Worte nicht egal sind, dass sie auf unterschiedliche Weise treffen können. Manchmal sogar, obwohl das überhaupt nicht meine Absicht war.

Marco Michalzik
Marco Michalzik

Marco Michalzik aus Marburg ist Spoken-Word-Künstler, Lyriker und Songwriter.

Mit dem Musiker und Produzenten Manuel Steinhoff entwickelte er das Projekt #poetrymeetsbeats – eine Symbiose aus gesprochenen Texten und live gespielten, elektronischen Beats. Das Duo veröffentlichte bisher u. a. das Album„Ikarus“ und die EP „Insomnia“.

Er ist Workshopreferent zu den Themen Spoken Word, Kreatives Schreiben, Sprache und Spiritualität. Außerdem ist er Co-Host bei den Podcastformaten ART & WEISE (gemeinsam mit dem Musiker JONNES) und HOSSA TALK.

Zuletzt erschien sein erster Gedichtband “Alles wird ein bisschen anders” im Lektora Verlag.

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