Tabitha Hanan: Zwei Trauern

I.

(An einem Donnerstag, heißes Wüstenklima)

Sie sitzen auf den Sofas, in der Küche, im Schlafzimmer. Es kommen immer noch mehr
Freunde und Nachbarn dazu, sie passen nicht mehr in die Wohnung und so setzen sie
sich vor die Wohnungstür, auf die Treppen, sitzen und reden. Vor allem aber klagen sie.
Mit lauter Stimme klagen sie, schreien Gott und die Welt an, schreien ihren Schmerz
heraus. Alle sollen es hören, diesen Schmerz. Unverhohlen und ungehemmt. Es ist
ehrlich. Und die Wogen sind aufbrausend, stürmisch, roh und nein, das sieht nicht
schön aus oder gezügelt oder adrett. Verdammte scheiße, es ist wirklich nicht nett und
hier tut auch keiner so, als wäre es in Ordnung. Denn das ist es nicht. Es ist verdammt
noch mal nicht in Ordnung, was da passiert ist und das wird mit ganzer Lunge
verkündet. Und wenn das drei Tage lang aus dem Herzen geschrien wurde, dann
glätten sich die Wogen so langsam, es pegelt sich Stück für Stück die Lautstärke runter
und die Sofas leeren sich. Und dann die Küche und danach der Flur. Bis sie mit ihrer
Trauer allein in der Wohnung übrig bleibt. Doch sie ist leer, ihr Herz hat alles gefühlt in den letzten Tagen und so stört sie diese Stille nicht. Sie darf jetzt, darf sich verkriechen und ins Dunkel gehen.

(An demselben Donnerstag, kühles Waldwetter)

Die Glocken läuten. Hände schütteln, mein Beileid, mitleidige Blicke, hinsetzen. Es wird
still ins Taschentuch geweint, irgendwo hört man ein unterdrücktes Aufschluchzen. Alle
in förmlichem Schwarz, eine Wand an Ernsthaftigkeit. Rosen und Kränze mit liebevollen
Bannern und salbungsvolle Worte vom Talar. Ein Zug hinter dem Sarg, zum gähnenden
Loch in der Erde. Man hört das Rauschen der Blätter. Staub zu Staub. Mein Beileid.
Mein Beileid. Mein Beileid. Und weitergehen. Ein letztes widerstrebendes Abwenden
und so verlassen sie den Friedhof und ziehen das Tor hinter sich zu. Beim Schmaus
fragt die Tante, wann der Neffe mit dem Studium fertig ist, die Cousine zeigt ein trending
Video auf TikTok und der Onkel trinkt mal wieder einen zu viel. Ach, er war so ein Guter.
Die Guten gehen immer zu früh. Gezwungenes Lächeln. Sachte zieht sie die Haustür
hinter sich zu. Die Wohnung ist leer, es ist still. Die Haustür bleibt viel geschlossen und es bleibt gespenstisch still. Denn Trauernde sollte man am besten erst mal allein lassen. Sie müssen da alleine durchgehen. Das geht niemanden anderes was an. Gerade jetzt wird auf Abstand gegangen und ihr schweigend ein Auflauf zugeschoben. Und die Stille schreit ihr von den Wänden entgegen. Vielleicht hätte sie auch mal schreien sollen.

II.

Es scheint, als ob nur die einen Worte haben – die anderen nicht. Wurden die Worte
unachtsam verteilt? Denn die einen haben so viele Worte. Wütende, laute, zaghafte und
aufbauende. Sie werden den Trauernden hingehalten wie frische Blumen. Und man
kriegt feste Umarmungen und dicke Schmatzer. Man muss ein Jahr lang schwarz
tragen und es gibt Worte voll Tradition und Trost, die diese Zeit einkleiden.
Sind den anderen schlicht die Worte verloren gegangen? Oder hat es ihnen die
Sprache verschlagen? Mehr als erbärmlich leere Floskeln sind nicht übriggeblieben.
Während sie sich gegenseitig hingehalten werden, wird ihre Schäbigkeit deutlich und
wieder schweigen sie beschämt.
Wer kann denn heute noch über den Tod reden? Trauer scheint wie eine neue Sprache
und keiner weiß, sie zu lernen. Sitzen mit hilflosen Händen vor dem Sarg und wissen
nicht, was zu sagen, in welche Worte unseren Schmerz zu kleiden. Sehen das Leid des
anderen und stolpern über Worte, hastig gesprochen und hohl. Nehmen Worte, um zu
beschönigen und das eigene Unbehagen zu stillen. Überhäufen die Schmerzenden mit
einer Flut an Worten, um Leid eine Bedeutung aufzudrücken.

III.

Ich wünsche mir einen Mund, der für Trauer und Tod Worte findet und ein Herz, das
sich traut, sie zu sprechen, und nicht zurückschreckt vor dem Schmerz des Anderen. Ich
wünsche mir Arme, die ergreifen und umarmen, statt schlaff daneben zu hängen.
Ohren, die es schaffen, nur zuzuhören. Ich wünsche mir Füße, die dahineilen, um
beizustehen, und einen Magen, der die Schwere zu verdauen weiß. Und ich wünsch mir
eine heilsame Sprache, die uns in dunklen Zeiten mit Worten des Lebens tröstet.

Tabitha Hanan
Tabitha Hanan

Tabitha Hanan ist Autorin, Lyrikerin und Spoken Word Artistin. Aufgewachsen in Ägypten, bringt sie eine globale Perspektive in ihre Werke mit ein. Derzeit lebt und arbeitet sie in Berlin.

2 Kommentare

  1. Wunderbar treffend – gerade haben wir dieses Thema in dem Freundeskreis besprochen, über den so zum trauern unfähigen Umgang mit dem Tod. Hier treffe ich es literarisch. Beschreibend, aufdeckend, ermutigend… Danke!

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