Konstantin Stawenow: Streuobstwiesenpassion

1
im Winter mit den Äpfeln sprechen
denen die noch stehen
über die rote Haut fahren
ihnen Wärme schenken
ihren kleinen Riffeln nachgehen
den Unberührten und Gefallenen
die Jahresringe hinabsteigen
zwischen all dem Schnee
erfrorenen Gräsern und Aufgefressenem
sich die Füße küssen lassen
um dann wieder über den Zaun zu steigen
die Streuobstwiese zu verlassen
nur die weiße Amsel bleibt zurück
und baut dem Apfelbaum ein Nest
legt fünf Eier hinein
die Pächter vom Gärtner zu unterscheiden
ihn zu erkennen an der Zeit sie an der Eile
ihn an der Leiter sie an der Säge
ihn an den Händen sie an den Nägeln

2
was bleibt uns außer der Acht
was bleibt uns beim Wachen
beim Wachsen beim Loben beim Knien
vor der o! so heiligen Apfelpresse
beim Preisgeben beim Aufgeben unserer Kerngehäuse
beim Verhängen unserer schrumpelnden Schalen
beim Schauen auf Äste an denen man wächst
beim Übermalen gelber und grüner Flecken
bei der Suche nach Halt den es am Boden nicht geben soll
was bleibt uns außer den Fragen nach den Schlupflöchern
in Händen und Füßen was mit den Würmern ist ob der Gärtner
wirklich aussortiert und ob der alte Zaun noch steht

3
frage danach ob Sprache sprich Farbe sprich Form
sprich Herkunft ein Hindernis ist ob Sprenkel notwendig sind
oder ob auch andere Muster verlangt werden könnten
ob das Etikett beim Waschen den Kleber flieht
und ob Zweige und Gabelungen von Bedeutung sein werden
und frage danach ob sich Veredelungen
als Vorteil oder als Nachteil erweisen werden
ob das Verstehen der Vorgaben Pflicht oder freiwillig ist
und ob Klarheit als Merkmal abgelegt werden darf
und Trübe nicht immer fehl am Platz
und ob schweigendes Auslassen verboten
auch wenn die Ernte kurz bevorsteht
denn sind angesichts des Wetters Stiefel
nicht weit eher angebracht und Handschuhe ganz praktisch
aber ignorieren wir hier nicht die Wege
die durch den Garten führen sich nicht nur am Zaun halten
dabei machen sie doch letztendlich eine Streuobstwiese aus

4
diese Trampelpfade auf die wir fallen dank schwacher Punkte
und starker Winde und dem das wir Zeit nennen
liegen sie nicht da wo niemand geht außer denen
die unsere besonderen Orte kennen und wer kennt die schon
und weiß wo man warten muss

(Zuerst erschienen in: Nagelprobe 40, Allitera Verlag)

Konstantin Stawenow
Konstantin Stawenow

Konstantin Stawenow, geboren 2003 in Erfurt, ist Lyriker und angehender Holzbildhauer. Neben Gedichten für Literaturzeitschriften und Anthologien, entstehen immer wieder auch Texte für seine ehrenamtliche Arbeit im CVJM Thüringen. Er ist u.a. Mitglied des Lyrikkollektivs @partnersinpoem und Teilnehmer der Thüringer Textwerkstatt Poesie & Praxis sowie der young poems 2023 am Haus für Poesie. 2022 wurde ihm von der Erfurter Herbstlese ein Hauptpreis des Eobanus-Hessus-Schreibwettbewerbs zugesprochen. 2023 wurde er mit einem ersten Preis beim Jungen Literaturforum Hessen-Thüringen ausgezeichnet.

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