Auch Monster malen schöne Bilder – Über den Konflikt zwischen Kunst und Political Correctness

Wir sind irritiert von dem anscheinend zunehmenden Wunsch vieler Linker, in der Kunst- und Kulturszene moralisch aufzuräumen, die Künstlerinnen und Künstler in gut und böse aufzuteilen und vorzuschreiben, was man noch lesen/hören/sehen darf und was nicht. Das ist für uns ein Problem, denn wir sehen uns selbst als Linke, sind auf der andere Seite aber auch Künstler und überzeugte Liberale. Der moralische Reinheitsfuror erinnert uns fatal an gewisse religiöse Kreise, in denen wir mal zuhause gewesen sind. Darüber unterhalten wir uns bei Weinchen und Bier. Aber hört selbst.

29 Kommentare

  1. Zuerst mal Kompliment, dass ihr dieses neue Projekt in Angriff genommen habt. Ich bin gespannt, was ihr da noch alles vom Zaun reissen werdet, denn ihr könnt von Tiefe über nerdigen Scheiss bis zu Labern bis der Arzt kommt; genau der richtige Mix, finde ich.
    Die These «Was kann das Werk dafür, dass sein Schöpfer so ein Arschloch ist?» kann ich unterschreiben, und zwar bedingungslos. Ich komme auch aus dieser Ecke, in der man Filme nicht gucken durfte und sich Musik nicht anhören durfte, weil die Gesinnung des Künstlers nicht für gut befunden wurde: »Wir unterstützen das nicht.», hiess es dann jeweils und die Sache war damit abgehackt.
    Andererseits hing in unserer Wohnung jahrelang ein Bild, welches ein Typ gemalt hatte, der mich als Kind sexuell missbraucht hatte. Niemand wusste von dem Missbrauch, denn sonst wäre es bestimmt abgehängt worden.
    Seine Bilder begegneten mir auch an anderen Orten in unserem Umfeld, denn er war im Bekanntenkreis meiner Familie und es gab viele Berührungspunkte. Er hatte wirklich Talent als Maler, einige seiner Bilder sehe ich heute noch genau vor mir, obwohl ich sie nun schon Jahrzehnte lang nicht mehr gesehen habe. Und mir haben seine Bilder auch tatsächlich immer gefallen, obwohl ich seine dunkle Seite kannte und das auf schmerzlichste Weise. Natürlich konnte ich sie lange Zeit nicht neutral betrachten, weil er mir automatisch in den Sinn kam, wenn ich ein Bild von ihm sah. So schön seine gemalten Bilder auch waren, so schrecklich die Bilder meiner Erinnerung, die nur ich sehen konnte. Aber trotz meiner schlechten Erfahrungen behielten die Bilder auf eine gewisse Weise ihren Zauber, ich konnte mich ihrer Schönheit nicht entziehen.
    Ich würde jetzt von ihm kein Bild haben wollen, aber ich kann seine Bilder hängen lassen, wenn ich sie sehe. Ich kann akzeptieren, dass dieser Mensch, der mir so weh getan hat, eine Seite hat, die die Schönheit der Welt einfangen und darstellen kann. Es ist wie ein Blick aus einem anderen Fenster desselben Hauses. Ich kenne die Aussicht auf der dunklen Seite, und ich bin froh, dass ich nie mehr in diese Zimmer gehen muss. Aber auch dieses Haus ist nicht nur von dunklen Seiten umgeben – auch dieser Mensch ist eine vielschichtige Persönlichkeit; zu seinem Glück ist das so, denn er muss mit sich selbst leben und damit klar kommen, wie er ist.
    Ja, es ist erschreckend, welche dunklen Seiten ein Mensch haben kann – aber es ist doch auch erstaunlich, welche Schönheit oder Talent derselbe Mensch hervorbringen kann.

  2. Puh, ein echt schwieriges Thema.
    Ich persönlich frage mich, wie weit ich mich als Kunstbetrachter mit der Person des Künstlers überhaupt auseinandersetzen muss. Ich betrachte ja ein Werk und keine Person.
    Allerdings, dort, wo ich es weiß, hätte ich keine Freude mehr an der Kunst. Ein Werk von Hitler – mag es noch so schön sein – ist ein Werk von Hitler. Und das Werk eines pädophilen Täters könnte ich auch nicht genießen, wenn ich es weiß.
    Und trotzdem … zählt nicht auch das ganze Leben eines Menschen? Ich glaube, dass Gott unser ganzes Leben sieht und nicht nur die letzten Meter, und das gilt auch für Künstler, die irgendwann mal falsch abgebogen sind.

    Jay, ich habe den Koran gelesen und versichere dir, dass die Bibel nicht schlimmer ist. Der Koran ist absolute Ü18 Literatur mit detaillierten Beschreibungen, auf welche Weise wir „Ungläubigen“ für ewig in der Hölle gefoltert werden. Keine Sure ohne Hölle oder Strafandrohung und Aufforderung zur Gewalt. Nein, wirklich, das ist ganz weit weg von der Bibel.

    • Ich würde gerne unterstreichen, was du schreibst: Wir betrachten das Werk und nicht den Künstler. Und hinzufügen würde ich, dass es dabei gar nicht immer ums Genießen geht, sondern zu allererst ums Wahrnehmen. Kunst ist ja gar nicht nur Genuß, das ist auch Schmerz oder Ekel. Oder sonstwas. Mir geht es natürlich genau wie dir: Wenn ich weiß, was der Künstler getan und gesagt hat, begegne ich seinem Werk anders. Nicht mehr so unvoreingenommen. Vielleicht total mit Vorbehalten. Und bestimmt zurecht. Aber bedeutet das, dass man das Werk von jemandem, der moralisch total versagt hat, gar nicht mehr betrachten sollte? Ich finde nicht.

  3. Ich finde den Punkt mit der Selbstbestimmung wichtig, dass mir niemand vorschreiben darf, was ich anschaue und was mir zu gefallen oder nicht zu gefallen hat. Ein Werk völlig von seinem Schöpfer zu trennen, ist wahrscheinlich gar nicht möglich, jedenfalls nicht in diesen ganzen (zurecht) kritischen Fällen. Die andere Frage ist, ob es denn das Ziel des Künstlers ist, von seinem Werk getrennt betrachtet zu werden. Ist das so? Geht es wirklich nur um das Werk? Warum gibt es dann nicht mehr anonyme Kunst? Letztendlich will doch der Künstler selbst gesehen werden, bestätigt werden, oder?

    • Ich würde sagen, dass es zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht unbedingt wichtig ist, was der Künstler wollte – ob er berühmt oder gelobt oder gefeiert werden will. Das ist vielleicht alles der Fall. Es ist noch nicht einmal unbedingt wichtig, was der Künstler sagen wollte oder ob ihm das gelungen ist. Es spielt vielleicht immer noch eine Rolle, aber eine untergeordnete. Wir begegnen seinem Werk und beginnen einen Dialog damit. Das ist das Wichtigste. Kann sein, dass von dem, der es gemacht hat, sehr viel durchscheint, vielleicht zu viel für mich, zu viel Dunkles oder Süßes oder Selbstverliebtes oder was auch immer. dann werde ich mich wohl abwenden und nichts damit zu tun haben wollen. Es kann aber auch sein, dass ich etwas entdecke, was dem Künstler selbst nicht bewusst gewesen ist, was vielleicht erst in meiner Begegnung mit dem Werk entsteht oder was erst zu diesem historischen Zeitpunkt, in dem jetzt gegebenen Kontext überhaupt erst entstehen kann. Das hat dann mit dem Urheber nichts oder nicht mehr viel zu tun. Sie/er hat dann vielleicht die Möglichkeit dafür geschaffen, das immerhin. Aber viel mehr auch nicht.

      • Stimmt, vorallem wenn es um Musik geht erlebe ich das genau so. Die höre ich meistens komplett losgelöst vom Künstler, und was sie bei mir auslöst, kann unmöglich von ihm geplant oder beabsichtigt sein… Das hat mit mir selbst zu tun…

  4. Hey ihr zwei!

    Habe mir die drei ersten Folgen sehr gerne angehört.

    Richtig angesprochen hat mich der dritte Teil, vor allem eure Überlegungen bzgl. des (unausgesprochenen?) „Reinheitsgebots“ beim Wahrnehmen von Kunst.

    Aus meiner Sicht bestehen da auch Querverbindungen in sehr fromme Kreise („Heiligung“, „Rein sein wollen“, etc.).

    Für mich besteht da eine unglückliche Vermischung zwischen deutscher Mentalität und Glaube: deutscher Perfektionismus führt in Verbindung mit Angst und strenger Moral zu einer fast schon totalitären Haltung, die unfertiges, kaputtes und schräges nicht aushält…

    Was wirklich widersinnig ist:
    Diese Haltung ist nach der Reformation auch im protestantischen Bereich entstanden, führt Menschen aber oft in eine vor-reformatorische Haltung in ihrem (evangelischen?) Glauben …

    Irgendwie wieder ein Selbsterlösungskonzept …

    Außerdem bringt man sich durch so eine Abwehrhaltung darum, wichtiges zu lernen…

    Übrigens:
    Ein Kunstwerk von tw. umstrittenen Künstlern, das mich 2016 umgehauen hat, ist der Titel / das Video „Mein Land“ von Rammstein (zuende schauen!)… Ist schon 2011 erschienen … Leider fast schon prophetisch …

    Viele Grüße, und macht weiter so!

    • Da haste Recht. Ich würde aber zu bedenken geben, dass wir kein Fachgespräch führen, sondern ein Gespräch unter kunstinteressierten Freunden. Da geht schon mal was daneben.

      • Klar, das ist ja auch der Charme von eurem Podcast 😉

        Ich finde »Lolita« besonders spannend zum Thema »Authentizität vs. Fiktion«. Ich vermute, dass heute kein Schriftsteller mehr so einen Roman veröffentlichen könnte, ohne sofort und umfassend dem Verdacht ausgesetzt zu sein, selbst pädophil zu empfinden, und damit seinen Ruf und seine Karriere gefährdet. Man kann sich also fragen, wie viele Meisterwerke wie »Lolita«, das ja anerkanntermaßen eines ist, nicht veröffentlicht oder gar nicht mehr geschrieben werden aus Angst vor oder auch nur keinen Bock auf den Shitstorm.

          • Man sollte ein Kunstwerk überhaupt nicht moralisch bewerten, ein ethisches Herangehen, das danach fragt: Schadet es in der Realität jemandem?, fände ich aber legitim. Im Falle von »Lolita« oder insgesamt fiktionalen Werken sehe ich da aber keine Handhabe. Das Argument des »seelischen Schadens«, worüber ihr ja im Podcast auch sprecht (Reinheit), leuchtet mir nicht (mehr) ein, kämpfe aber auch noch gegen meine zugrundeliegende gegenteilige, fromme Prägung an. Niemand wird durch das Lesen von »Lolita« zum Vergewaltiger.

          • Ja, ich stimme dir wieder vollkommen zu. Im Fall von Lolita habe ich, meine ich, ja vor allem meine persönlichen Gefühle beschrieben, warum ich das Buch letztlich wieder weggelegt habe. Aber das war natürlich keine Empfehlung an alle: Lest dieses Buch nicht! Ich sehe es genau wie du: Kunst lässt sich in der Regel nicht moralisch beurteilen. Es wäre sogar die Frage, ob zB die Verletzung von Rechten von Menschen oder Tieren bei der Erstellung eines Kunstwerkes irgendetwas mit der Bewertung des Werkes zu tun hätte. Natürlich ist das anzuprangern, wenn zB Tieren bei einem Filmdreh geschadet wird. Man sollte den Film wohl auch boykottieren, ich wäre jedenfalls dabei. aber man kann ja trotzdem zu dem Schluss kommen, dass der Film als Kunstwerk hervorragend ist. (Ich glaube, ich habe nur das wiederholt, was du gerade geschrieben hast, oder?)

  5. Ich denke auch, dass man Kunst nicht moralisch bewerten
    sollte und trotzdem Manches ethisch hinterfragen kann und muss. Dazu kommt,
    dass wir als Gesellschaft auch eine nicht zu unterschätzende Rolle haben. Wenn
    mancher Künstler sein halbes Leben lang angehimmelt und vergöttert wird, ist es
    nicht wirklich erstaunlich, wenn seine Selbstwahrnehmung dadurch verzerrt wird und er vielleicht noch mehr abdreht.
    Wenn ich jemanden lange genug wie einen griechischen Gott verehre, muss ich
    mich dann auch nicht wundern, wenn der sich wie ein solcher benimmt und auf
    mich als Normalsterbliche scheisst…

    Es ist eine Gratwanderung und eine Spannung, die sich nicht
    auflösen lässt, und auch das muss, meiner Meinung nach, so sein. Das ist
    vielleicht die grösste Kunst, den Spagat zwischen Betrachten und Beurteilen hinzukriegen.

  6. Hallo zusammen,
    in vielem geht es mir wie meinen Vorredner/schreiber*innen. Die drei Folgen haben mir gut gefallen. Folge 1 zum reinkommen, bei Folge 2 habe ich mich köstlich amüsiert und in Folge 3 habt ihr das herausgearbeitet, was ich genau so empfinde aber nicht so richtig für mich formulieren konnte. Danke.
    Ja, ich will keine (ungefragte) moralische Vorbewertung und es ist mir äußerst unangenehm, dass die Bewertung derzeit oft von linker Seite kommt. Das hin und her mit Lisa Eckert und die aufgebaute Bedrohung ist völliger bullshit. Woher kommt diese Angst vor Diskurs? Woher die moralische Besserwisserei, die ich sonst nur aus freikirchlicher, evangelikaler, pfingstlerischer Tradition kenne und die mich in jungen Jahren begleitet hat?
    Mit Jays Plädoyer für Xaviers Kunst (Stimme, Ausdruck …) kann ich auch gut. Mir war es zwischenzeitlich auch fast peinlich, dass mir Songs wie „20.000 Meilen“ nicht nur gefallen sondern sie mich auch berührt hatten. Und ja ich dachte auch, „wenigstens hat er den Text nicht selbst geschrieben“ (sondern Moses Pelham). Vielleicht werde ich ihn mal wieder hören. Grade zum Trotz. Nur den Wendler tue ich mir jetzt nicht an… 😉
    Freue mich auf die weiteren Folgen.

  7. Hallo Gofi, hallo Jay,

    ich war zugegebenermaßen zuerst skeptisch, was ein Spin-Off von Hossa Talk angeht, aber die drei ersten Folgen haben mir gut gefallen, sodass meine Skepsis schnell verfolgen ist. Danke für das Plädoyer für offene Diskussionen ohne Denkverbote. Das brauchen wir.

    Falls ihr in Zukunft mal Themen braucht oder es euch interessiert, wie wäre es mit Pink Floyd?

    VG,
    Stephan

  8. Hallo ihr zwei!
    Vielen Dank für den interessanten Talk. Habe ich euch richtig verstanden, dass Kunst erstmal alles darf? In Grundzügen würde ich das (glaube ich) erstmal relativ weit mitgehen. Ich habe mich dabei aber gefragt, ob es nicht auch auf die Motive des Künstlers und die Wirkung des Werkes ankommt.
    Was wenn ein Autor tolle Geschichten schreibt, aber unterschwellig etwas vermittelt, was verwerflich ist.
    Wenn beispielsweise bestimmte Personengruppen zwar vorkommen, vielleicht sogar Protagonisten sind, aber doch irgendwie als minderwertig dargestellt werden. Oder eine Geschichte so ein düsteres Bild von der Welt in der wir leben malt, dass sich die Leser reihenweise umbringen.
    Kann man solche Werke dann nicht zu Recht verurteilen? Muss es vielleicht sogar? Kann man nicht sonst unter dem Deckmäntelchen der Kunst alles machen?
    Natürlich stellt sich auf der anderen Seite sie Frage, wer denn dann geeignet ist, die Moralpolizei zu spielen, denn auf der anderen Seite des Pferdes wartet natürlich die willkürliche Zensur…

    • Ja, Flo, damit bringst du die Spannung gut auf den Punkt. Darf Kunst alles? Wir würden sagen: Nee, natürlich nicht. Aber die Kunstfreiheit und die Meinungsfreiheit gehen sehr weit, und das finden wir gut. Ja, wir sind alle aufgerufen, Kunst zu beurteilen und vielleicht zu verurteilen. Aber das heißt ja noch nicht, dass verurteilungswürdige Kunst verboten gehört, dass sie abgeschafft werden muss. Ich verachte zB Kunst, die Frauen zu Objekten degradiert. Die Popkultur ist voll davon. Anscheinend haben nicht sehr viele Leute damit ein Problem. Ich würde das auch laut sagen, ich würde das problematisieren, ich würde meinen Söhnen abraten, entsprechende Musik zu hören, aber ich würde nicht das Verbot fordern – es sei denn, es handelt sich um Straftaten wie Volksverhetzung, die Bagatellisierung der NS-Verbrechen, den Aufruf zu Gewalt, Kinderpornografie oder so. Aber grundsätzlich sollte doch eine Gesellschaft auch mit problematischer Kunst konfrontiert werden, und dann sollte sie offen und kontrovers diskutiert werden, gerne auch öffentlich verurteilt, geächtet, was weiß ich. Sie aber abzuschaffen, sie von den Wänden zu reißen oder von den Sockeln, setzt doch voraus, dass irgendjemand das entscheiden darf, dass genau das getan werden muss. Wer ist das? Ist das die Mehrheit oder die, die am lautesten sind, oder die, die am gewaltbereitesten sind? Wer hat die Deutungshoheit darüber, was okay und was nicht okay ist – solange es sich nicht um Verstöße gegen Gesetze handelt? Ich finde, alle und keiner. Wir sollten debattieren, aber nicht zensieren. Oder?
      Übrigens fand ich das cool, als Demonstranten in Brighton die Statue eines Sklavenbesitzers (oder Händlers?) abgerissen haben. Der einzelne Akt ist, finde ich, eine wichtige Provokation, eigentlich eine künstlerische Performance. Aber die Forderung, dass das jetzt überall im Land passieren MUSS, das finde ich problematisch.

  9. Hallo Gofi,

    du schreibst „Ist das die Mehrheit oder die, die am lautesten sind, oder die, die am gewaltbereitesten sind?“. Das ist genau das Problem. Zumal ja auch der gesellschaftliche Konsens (so es ihn den gäbe) einem steten Wandel unterworfen ist. Gestern waren wir uns noch einig, dass Mona Lisa mit ihrem aufreizenden Blick verboten gehört, heute bereuen wir, sie verbrannt zu haben… Gut, dass wir vorher noch ein Bild auf Facebook hochgeladen haben und es damit für alle folgenden Generationen gerettet haben… 😉

    Wie haltet ihr es mit „Zugangsbeschränkungen“? Beispielsweise könnte man ja sagen diese und je Schriften sind als Zeitzeugnis zwar wertvoll, aber es erfordert eine gewisse Reife, problematische Inhalte zu erkennen und einordnen zu können.

  10. Moin ihr beiden,

    Ich glaube ich wäre mit Begriffen wie „Zensur“ usw. eher vorsichtig. Man muss hier klar unterscheiden von wem die sogenannte „Zensur“ ausgeht.

    Zensur findet dann statt, wenn staatliche Institutionen anfangen gezielt Werke oder Künstler*innen zu verbieten, weil sie Ihnen nicht in den Kram passen bzw Künstler*innen für das was sie tun im Gefängnis landen können.

    Wenn eine private Institution/Veranstaltung/Organisation nicht mit einem/r Künstler*in in Verbindung gebracht werden möchte, ist es deren gutes Recht, diese Person nicht auszustellen/auftreten zu lassen usw. Das hat nichts mit Zensur zu tun!
    Meinungsfreiheit ist nunmal keine Einbahnstraße.
    Kein Künstler hat das Recht darauf, dass ich sein Werk gut finde bzw. ihm eine Plattform gebe.

    Das kann man scheiße finden, Zensur ist es trotzdem nicht.

    Von daher verstehe ich ehrlich gesagt das Problem hier nicht.

    Wenn Hitler ein schönes Bild gemalt hat, spricht ja nichts dagegen, dass es schön sein kann. Aufhängen muss man es deswegen ja trotzdem nicht..

    • Moin Aaron. Ja, du hast Recht, das Wort ‚Zensur‘ ist in diesem Zusammenhang nicht das richtige. Wir haben aber, wenn ich mich richtig erinnere, nicht über den Fall gesprochen, dass jemand ein Kunstwerk nicht ausstellen will, sondern dass jemand das möchte, es aber nach Meinung bestimmter Gruppen nicht darf. Eigentlich geht es deshalb wohl eher um Selbstzensur, also entweder um freiwillige (bevor jemand sie fordert oder um bestimmte unangenehme Konsequenzen zu vermeiden) oder um geforderte. In deinem Kommentar begegnet mir glaube ich wie auch schon bei einigen anderen Rückmeldungen ein Missverständnis. Kunstwerke werden – jedenfalls so ganz theoretisch – nicht deshalb ausgestellt, weil man die Leistung eines Künstlers würdigen will, sondern weil man das Werk für besonders relevant hält. Ob dabei jetzt irgendjemand besonders geehrt wird oder nicht, sollte dabei gar keine Rolle spielen. (Spielt es oft doch, aber darum sollte es eigentlich nicht gehen.) Wir haben dafür plädiert, dass es um das Werk geht, nicht um den Künstler. Es könnte deshalb auch der Fall eintreten, dass ein menschlich total verdorbenes Arschloch ein wirklich abstoßenendes Kunstwerk erschafft, das aber auf eine bestimmte Weise für die Zeit und die Umstände sehr relevant ist – ein total unwahrscheinlicher Fall, aber immerhin denkbar. Und wenn eine Institution dann dieses Werk ausstellen wollte, sollte sie das ‚dürfen‘ – die Zeichen “ deshalb, weil es sich eben nicht um ein juristisches Dürfen handelt, sondern um ein Dürfen in Hinsicht auf den moralischen Konsens, sofern er denn existiert oder sofern er von einer Gruppe für sich in Anspruch genommen wird. Was wir kritisieren ist, dass die moralische Empörung lauter geworden ist und dass das in der Vergangenheit dazu geführt hat, dass bestimmte relevante Kunst lieber gar nicht erst gezeigt worden ist (unser Beispiel war die Lesung von Lisa Eckart). Ich finde, dass auch moralisch oder politisch problematische Kunst gezeigt werden können soll. Und wenn sie problematisch ist, muss sie hart kritisiert werden, mit allem, was dazu gehört: Ekel, Wut, Proteste. Aber dafür ist dann ein Dialog nötig über das Werk. Selbstzensur sorgt dafür, dass der Dialog gar nicht erst stattfindet. Und das ist schlecht für die Gesellschaft, finde ich.

      • Ja ich verstehe den Ansatz auf jeden Fall. Vielleicht kommt es aber auch auf den Kontext an.

        Ich persönlich tue mich schwer Künstler und Kunst zu trennen. Genau wie ich die Person Trump und seine Politik nicht voneinander trennen kann (auch wenn das einige Menschen schaffen, keine Ahnung ob das Beispiel passt.)

        Zumindest dürften z.B. die problematischen Ansichten/Hintergründe einer Künstlerin nicht unkommentiert stehen gelassen werden.
        Auch, wenn das natürlich eurem Hauptpunkt widerspricht.

        Wenn ich ein Kunstwerk genieße (in welchem Rahmen auch immer) möchte ich einfach nicht das Gefühl haben, dass versucht wird um des Werkes Willen, die schwierigen Seiten des Künstlers zu vertuschen.

        Ich finde einfach, dass das irgendwie zusammen gehört, wenn ich das Gesamtwerk verstehen möchte.

        Auch, wenn ich dir zustimme, dass ein Werk natürlich irgendwann eine Eigendynamik entwickelt.

        Schwieriges Thema… Vielleicht bekommt mein Links-Grün versifftes Gehirn diese Dissonanz nicht so richtig gebacken…

        • Ich sehe das eigentlich genauso. Stimmt, der Kontext ist sehr wichtig. Das sollte man in dieser Diskussion mitbedenken, und ich denke, das haben wir in diesem Talk zu wenig getan.

          Im Herbst vergangenen Jahres wurden zwei Bilder eines Malers wieder abgehängt. Er galt bisher als ein von den Nazis verfolgter Künstler (Emil Nolde). Eine Ausstellung, die im Frühjahr 2019 in Hamburg und im Herbst in Berlin gezeigt worden ist, hat nachgewiesen, dass er selbst Nazi gewesen ist. Göbbels mochte seine Bilder, Hitler aber nicht. Seine Werke wurden später beschlagnahmt und vernichtet oder verkauft. Er hat das nach dem Krieg zu seinem Vorteil ausgenutzt, obwohl er selbst Mitglied der NSDAP gewesen ist, sogar einen ‚Entjudungsplan‘ verfasst und den Nazis vorgeschlagen hatte. Das alles ist erst letztes Jahr in dieser Deutlichkeit herausgekommen (obwohl man schon seit längerem darüber diskutiert hat). Merkel hat deshalb angewiesen, dass seine Bilder im Kanzleramt abgehängt werden. Richtig, finde ich. das Kanzleramt ist neben dem Bundestag das Herz der Bundesrepublik. Die Bilder eines Nazis haben dort nichts zu suchen. An anderer stelle jedoch würde ich mir wünschen, dass sie ausgestellt werden, gemeinsam mit der Geschichte von Emil Nolde. Dann könnte man einerseits die Bilder betrachten und mit ihnen einen Dialog führen. Und man könnte sich andererseits mit dem Künstler und seiner Geschichte befassen. Zum Beispiel so wie in der Ausstellung.

          Ich würde also gerade nicht sagen, dass man die Hintergründe des Künstlers verschweigen sollte. Ich finde nur, dass man das Werk selbst auch zu Wort kommen lassen muss. Okay, ich gebe zu, dass ist tatsächlich nicht leicht. Und vielleicht wirklich gar nicht immer möglich.

  11. Es gibt Märchen und viele dieser Märchen dienen dazu zu zeigen: Ja es gibt Monster, aber man kann sie auch töten!

    Nicht ganz selten hat in der Psychotherapie ein selbstgeschaffenes oder vom Therapeuten erschaffenes Märchen den Weg begleitet bis zu einem geschützten Ort, einem Ort wo vielleicht sogar Heilung möglich war.

    Und so denke ich auch über die Kunst. Ja das Werk kann mit einem Monster beginnen, aber dann ist der Werk nicht vorgezeichnet. Das Werk kann ganz woanders hinführen, es kann sogar aus dunkler Feder erfreuen. Es kann aber auch genau zu seinem Ursprung hinführen, zu all dieser Dunkelheit, die der Schöpfer aus sich heraus in sein Werk gelegt hat.

    Aber hat es auch dann seinen Wert verloren? Ist es nicht vielleicht auch manchmal wichtig ein Werk als Warnung zu sehen? Vielleicht in einigen Fällen als Warnung vor seinem Erschaffer? Und macht es dann Sinn diese Warnung aus dem Weg zu räumen? Den Raum zu säubern, die Spuren des Bösen zu beseitigen. Die Vergangenheit tilgen heisst oft auch zu tilgen woraus man gelernt hat. Und die Nachvollziehbarkeit dessen brauchen wir, um das Erlernte auch nicht wieder zu verlernen.

    Könnte es nicht sein, dass genau das spurenlose bereinigen uns nur noch schutzloser macht? Denn das Böse ist dadurch ja nicht weg. Provokant gesagt, hätten wir nicht die letzten Jahrzehnte mehr Werke zur Pädophilie gebraucht, die uns verwehren wegzuschauen? Die uns aufrütteln, schmerzen und anschreien: schaut endlich hin!

    Und ja, ich verstehe sehr gut, dass für angetriggerte Menschen auch ein Werk zur Qual werden kann. Nur hilft es der Person, wenn man versucht all diese Trigger zu beseitigen? Verkürzt und viel zu hart gesagt ist die Gemeinschaft nicht zuständig für die Trigger jedes Einzelnen. Sie ist aber sehr wohl zuständig dafür, Opfern nicht noch in den Rücken zu fallen.

    Ich glaube daher es ist nicht das Werk, was verschwinden muss, es ist oft eine Deutung die geändert werden muss. Ein Mahnmal muss nicht immer ein Mahnmal sein und ein Denkmal vielleicht nicht seines Lebens lang immer ein Denkmal und eine Siegessäule ist vielleicht manchmal rückblickend eine Säule der Niederlage. Hier muss es immer wieder Diskussion geben als was man das Werk ansehen muss.

    Ein Täter kann nicht nach Bekanntwerden seiner Täterschaft in einer Statue als starker reiner Held verkauft werden. Das wäre den Opfern in den Rücken fallen. Manchmal muss dann vielleicht eine solche Statue auch (symbolisch) fallen. Aber die Statue kann auch zu dem gemacht werden, was sie trotzdem noch zeigen sollte: Sie kann einen Verdienst zeigen, sie kann aber und muss auch gleichzeitig einen Täter zeigen. Dies muss man dann nachträglich (künstlerisch) lösen.

    Wahrscheinlich ist es wie immer die Ausgewogenheit, die nötig für eine richtige Lösung, für einen richtigen Umgang ist. Und Ausgewogenheit erzielt man leider immer nur, wenn man die ganze Individualität, die Ganzheitlichkeit des Falles betrachtet. Den pauschalen Weg kann es nicht geben, der pauschale Weg führt uns auch oft in falsche Bahnen.

    Ein Thema ohne Ende und das ist wohl auch gut so!

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