Everybody’s Looking For Something: Wir besuchen Gofis neue Ausstellung

Während wir im Supermarkt einkaufen und uns überlegen, was wir am Abend kochen möchten, sterben irgendwo anders Menschen im Krieg oder ertrinken auf der Flucht. Und drüben, in der Weinabteilung, durchlebt jemand ganz heimlich seine eigene persönliche Apokalypse, ohne dass irgendjemand es merkt. Unsere Wirklichkeit ist ein krasses Spannungsfeld, in dem wir uns täglich zurechtfinden müssen. Wie geht man damit um? Gofi macht Bilder und arbeitet sich auf diese Weise an ihr ab. Was ist wirklich wirklich? Und woher kann ich das wissen? Wie glaubwürdig sind die Milliarden Bilder, die uns umgeben und allesamt den Anspruch haben, Wirklichkeit zu repräsentieren? Das sind die Fragen, die ihn in seiner bildnerischen Arbeit beschäftigen. Ende Mai wird er seine neuesten Werke in einer Ausstellung in Hamburg präsentieren. Aber in unserer Online-Galerie ATTÓKK kann man sie jetzt schon betrachten. Gemeinsam durchwandern wir den Ausstellungsraum, Jay darf nach Herzenslust Fragen stellen, und Gofi antwortet darauf, so gut er kann, und ist manchmal selbst überrascht, was dabei zutage gefördert wird. Mach es Dir gemütlich und begleite uns bei diesem spannenden Ausstellungsbesuch. Viel Spaß!

Die Hossa Talk Folge mit Kira Funk, auf die Jay hinweist, findet ihr hier.

Gekürztes und überarbeitetes Transkript des Talks:

Jay: Bevor wir jetzt in deine Ausstellung reingehen: Willst du vielleicht noch etwas zum Titel sagen: ‘Everybody’s Looking For Something’? Warum hast du dir diesen Titel ausgesucht?

Gofi: Zunächst einmal geht es mir um die Tatsache, dass wir in einer Bilderwelt leben, dass wir ständig nach Bildern Ausschau halten und dass sie uns permanent umgeben. Everybody’s looking …: Bilder stellen häufig Dinge dar, die wir begehren, dann stellen wir bildlich dar, was wir begehren, um das wiederum anderen zu zeigen, und dann stellen wir uns selbst bildlich dar und hoffen, dass unser Abbild möglichst begehrenswert aussieht. Ich finde, dass das Begehren, das Ausschauhalten nach dem, was wir begehren, und die Verbildlichung all dessen in unserer Gesellschaft eng zusammenhängen. Das ist schon bemerkenswert, dass man es in den Städten überhaupt nicht vermeiden kann, Bilder zu sehen. Das geht nur in der Natur, solange man nicht sein Smartphone zückt. Ansonsten ist es nicht möglich. Wir sind also dazu gezwungen, sie auszublenden und uns von ihnen abzuschotten, so gut es eben geht, und andererseits zu entscheiden, welche Bilder wir bewusst anschauen möchten und welche nicht. Wir befinden uns in einem ständigen Spannungsverhältnis zum Bild. All diese Gedanken haben mich zuletzt beschäftigt und bei der Erstellung dieser Bilder begleitet.

Jay: Okay, dann gehen wir doch mal rein. 

Gofi: Fangen wir mit einem Bild an, das besonders aussagekräftig für diese Ausstellung ist und das ich als allererstes in dieser Art hergestellt habe: ‘Schneckenrennen’ (S. 43).

Jay: (lacht) Das ist ja fantastisch! Ich sehe einen nackten Mann … Ich nehme an, das bist du, oder?

Gofi: (lacht) Ja, das bin ich.

Jay: Richtig toll, das gefällt mir sehr, sehr gut. Schön finde ich auch, was dir möglicherweise gar nicht unbedingt aufgefallen ist: Hinten auf einem Stahlpfeiler ist die Zahl 23 aufgemalt. Und wie wir alle wissen, ist 23 die Hauptzahl in allen Verschwörungstheorien, die es so gibt. 

Gofi: Das finde ich faszinierend, denn ich habe die 23 tatsächlich nicht absichtlich eingebaut. Aber sie führt eine weitere Bedeutungsebene ein, die ganz gut zu dem ganzen Bild passt. Diese Szene spielt in einem Raum aus einem Computerspiel. Das ist ein Screenshot, den ich angefertigt habe. Das Game heißt ‘Fallout 4’, das nach der atomaren Apokalypse spielt. Dieser Raum ist ein Bunker, in dem Menschen überlebt haben. Ich fand ihn einfach schön. Ich bin sozusagen auf Fotosafari durch Computerspiele gegangen und habe Screenshots von den Orten gemacht, die mir am besten gefallen haben.

Jay: Und dieses Bild ist schon etwas älter?

Gofi: Ja, ich würde sagen, es ist 2019 entstanden. Damals habe ich angefangen, mit diesem Stil zu experimentieren, indem ich mehrere verschiedene Bildtypen kombiniert und geschaut habe, was daraus entsteht. Die Schnecken habe ich mit meinem Handy auf einer Wanderung fotografiert. Den Bären habe ich auf eine Matratze gemalt, die in unserem Wohnzimmer an der Wand hängt. Dieser gemalte Polizist ist von Jean Michel Basquiat. Und die hinterrücks herunterfallende Frau habe ich mal vor vielen Jahren mit Öl auf einen Apfelsaftkarton gemalt. Ich möchte jetzt nicht zu viel in mein Bild hineindeuten, aber ich würde sagen, ich habe es so komponiert, wie ich träume. Beim Träumen ist es ja auch so, dass wir viele verschiedene Arten von Bildern sehen und sie miteinander kombinieren. Und wenn wir ein wenig darüber nachdenken, fällt uns vielleicht sogar ein, warum wir dieses oder jenes in unseren Träumen gesehen haben.

Jay: Jetzt sage ich dir mal, was das Bild in mir auslöst. Dass es etwas Apokalyptisches hat, ist irgendwie klar. Auch wenn du jetzt nicht gesagt hättest, dass die Szene in einem Bunker spielt. Schon dieser prügelnde Polizist symbolisiert für mich Untergang. Und dann sitzt du ja auf der Schnecke mit dem nicht eingesteckten Stecker, die dazu auch noch in die falsche Richtung kriecht, denn das Schild zeigt in die andere Richtung und fordert dich auf: “Keep going! Es ist noch nicht alles zu Ende, es gibt noch eine Chance, vielleicht können wir es schaffen!” Doch du schaust nach hinten, wo der Bär und der prügelnde Polizist und die nackte Frau sind, und deine Schnecke geht einfach in die falsche Richtung und dazu noch ohne Turbo. Für mich drückt das das Unvermögen aus, mit dem notwendigen Wandel zurechtzukommen, mit dem Anspruch, weiterzugehen, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Denn du schaust ja noch nicht einmal in die Richtung, in die die Schnecke kriecht. Für mich steht das also für die totale Verwirrung.

Gofi: Als ich das Bild erstellt habe, hatte ich überhaupt nicht im Sinn, etwas Bestimmtes auszudrücken, eine bestimmte Stimmung zu verbildlichen. Aber hinterher habe ich es betrachtet und musste lachen. Weil ich es lustig fand. Es ist also schon ein witziges Bild, aber dann hat es auch etwas Tragikomisches. Offensichtlich befindet sich hier alles auf dem Weg in die falsche Richtung. Und das auch noch im Schneckentempo. 

Jay: Es könnte so eine Art Fixiertsein auf das Vergangene darstellen.

Gofi: Ich denke an Niederlage, an eine verfahrene Situation. Und das alles in bunten Farben.

Jay: Ich mag den Stil sehr, diese Verbindung aus Fotografie, gemalten Bildern, aus realistischen und überzeichneten Elementen.

Gofi: Ich mag dieses Bild auch gerne, selbst wenn man meinen könnte, dass es schrecklich traurig ist.

Jay: Aber es ist eben auch lustig. Wie sagt man? Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Im Angesicht der Katastrophe hatten wir wenigstens jede Menge Spaß. (lacht)

Gofi: Lass uns mal ein anderes anschauen. Dieses Bild heißt ‘NOISE’ (S. 39). Das ist ein Foto, dass ich beim OBI in Marburg auf Keilrahmen gezogen gekauft habe. Und darauf habe ich gemalt und Zeichnungen und Fotografien aus Papier aufgeklebt. Das Foto zeigt das Schloss von Marburg. Das ist eine ganz berühmte Ansicht der Stadt. Der Fluss ist die Lahn. Und der Blick geht hoch zum Schloss, das gerade von der Sonne angestrahlt wird. Ein typisches touristisches Bild, das man sich kauft, um es sich über das Sofa zu hängen. 

Jay: Auch dieses Bild wirkt wieder wie eine Szene aus einem Traum. Ich finde, das hat die Form der Collage so an sich, dass sie etwas unwirklich wirkt. Du hast hier übrigens wieder bekannte Kunst genommen und sie in dein Werk hineingestohlen. 

Gofi: Das stimmt. Ich habe das Bild sozusagen in einen kunsthistorischen Zusammenhang gestellt. Auch dieses Bild beruft sich auf Kunstwerke, die es bereits gibt.

Jay: Und im Fluss, in der Mitte der Szene, sitzt eine nackte Blondine auf einem Ochsen und reitet durch das Bild.

Gofi: Genau. Das ist Europa. In der griechischen Mythologie hat Zeus sie in der Gestalt eines Stieres entführt.

Jay: Aha! Es ist hier also auch noch großer Anspruch dabei!

Gofi: Na ja, was halt so durch unseren kulturellen Raum schwirrt …

Jay: Hast du die Fotos selbst gemacht?

Gofi: Ja, den jungen Mann in Badehose und die Frau am Bildrand habe ich am Strand von Tel Aviv fotografiert. Und da oben, in diesem roten Kreis, hockt eine Frau und pinkelt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das Bild selbst wirklich verstehe. Es ist auf eine ähnliche Weise entstanden wie das andere. In der Situation, in der ich es erstellt habe, habe ich mich gar nicht besonders wohlgefühlt. Ich habe nämlich nicht zu Hause gearbeitet, sondern in einem Atelier, in dem ich normalerweise nicht arbeite und in dem ich auch nur dieses eine Mal gearbeitet habe. In dieser Situation ist das Bild entstanden, und ich habe gemerkt, dass es manchmal gar nicht so schlecht ist, wenn man sich bei der Arbeit nicht wohlfühlt. Ich war dann eben umso konzentrierter bei der Sache und habe fast schon manisch an dem Bild gearbeitet, und als es fertig war, wusste ich nicht so genau, ob ich damit etwas anfangen kann. Es war ein eher halb bewusster Prozess. Im Nachhinein finde ich das selbst sehr interessant, wenn ich mir das Resultat anschaue und mich frage, was ich da überhaupt gemacht habe. 

Jay: Dieses Bild hat gewisse Ähnlichkeiten mit dem Bild von eben. Allerdings fällt mir auf Anhieb nicht wirklich ein, welche Deutung ich damit verbinden könnte. Es ist ein starkes Bild, finde ich. Was ist das überhaupt für eine Kunstform?

Gofi: Ich weiß es nicht. Ich persönlich bezeichne es als ‘Remix’. Ich greife wie in der Musik verschiedene Themen und Stile auf und verbinde sie zu einer neuen Komposition. 

Jay: Es erinnert mich ein bisschen an das, was Magritte gemacht hat oder Dalí: Welten, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Aber die haben gemalt. Du benutzt Fotos.

Gofi: Ja, das kann schon sein. Der Surrealismus verfolgte vielleicht ein ähnliches Projekt wie das, was mich interessiert, nämlich die Frage: Was ist eigentlich wirklich wirklich? Ist das, was uns vor Augen steht, wirklich die Wirklichkeit, oder gibt es dahinter noch etwas, eine weitere Ebene der Wirklichkeit, die uns verborgen ist? Es ist ein spirituelles Interesse, würde ich sagen. Ich bin ein gläubiger Mensch und frage mich: Was sehe ich in den Dingen, die ich sehe? Was sehe ich wirklich? Bei mir gibt es oft noch einen ironischen, manchmal sogar sarkastischen Zug. Da kommt vielleicht so ein gewisses Abgefucktsein von der Welt hinein, weil ich nicht anders kann, als mich mit den Dingen zu beschäftigen, die nicht gut sind. Und das spielt in den Bildern sicher eine Rolle. Ein Zugang zu diesem Bild ist aber auch, dass ich mich an Marburg abarbeite, an dieser pittoresken Bilderbuchstadt, die gerne von Touristen besucht wird, damit sie dort ihre Fotos machen können. Ich habe eines dieser typischen Vorzeigebilder von Marburg genommen und es umgestaltet, sodass es plötzlich zu einer skurrilen, fragwürdigen Szene wird. Und ich denke mir dann so: Okay, mit diesem Marburg komme ich klar. 

Jay: Diese pinkelnde Frau oben in der Ecke, die schwebt ja über allem. Und um sie herum ist so eine Aura, wie ein Heiligenschein. Die Deutung, die mir dazu direkt einfällt, ist, dass die einzige Heilige auf diesem Bild gerade pisst.

Gofi: (lacht) Genau so sehe ich das auch! Die Heiligen werden ja meistens von der himmlischen Regie eingeblendet, und in dem Moment, in dem der Spot angeht, muss sie gerade pinkeln.

Jay: Ja, und das ist so fantastisch, weil das einen satirischen, surrealen Kontrapunkt zu dem idyllischen Schloss setzt.

Gofi: Lass uns doch mal zu einem Bild gehen, das nicht ganz so rätselhaft ist. Ich meine ‘Blue Grave’ (S. 19). 

Jay: Hast du das extra für die Ausstellung angefertigt?

Gofi: Nicht ganz. Ich habe es 2022 mit einem Virtual Reality Headset gemalt und dann später für die Ausstellung in Hamburg weiterbearbeitet. 

Jay: Oh, das sieht so aus, als wäre es mit Öl gemalt. 

Gofi: Ja, finde ich auch. Für die Ausstellung habe ich es auf hochwertiges Fine Art Papier drucken lassen. Und die Farben sehen wirklich so aus, als wären sie mit der Hand aufgetragen worden. 

Jay: Bei den Figuren, die da im Wasser treiben, ist es ziemlich offensichtlich, dass es keine Taucher sind. Das Schiff ganz oben an der Wasseroberfläche und der Totenkopf stehen für den Tod, klar. Es sind also Geflüchtete, die ertrinken. Das empfinde ich als plakativer als die anderen. Etwas fassbarer.

Gofi: Ja, man kann jetzt nicht viel über das Bild rätseln.

Jay: Es ist sehr intensiv, finde ich. Das liegt vielleicht an der Farbgebung: die Silhouetten, der Hai, die sind alle in Schwarz gehalten. Mitten in dem Blau des Meeres.

Gofi: Ich hatte einfach das Bedürfnis, mich mit diesem Thema künstlerisch zu beschäftigen. Manchmal hat man das Gefühl, man lebt sein Leben, man geht so durch den Alltag und hat mit diesen ganz normalen alltäglichen Dingen zu tun, und plötzlich fällt dir ein, dass irgendwo anders in Europa oder in anderen Teilen der Welt die unglaublichsten, krassesten Dinge passieren. Dann stellt sich plötzlich die Frage: Ist es eigentlich okay, dass ich einfach weitermache oder müsste ich nicht etwas ändern? Wie gehe ich mit der Spannung um, dass gerade andere Menschen ihre Apokalypse erleben, und ich denke darüber nach, was ich heute Abend kochen möchte? Das ist so ein irrer Spagat. Und es fällt mir nicht immer leicht, damit umzugehen. Ich finde zumindest für mich darin eine gewisse Erleichterung, dass ich das künstlerisch thematisieren kann, z. B. diese sich ständig wiederholende Katastrophe im Mittelmeer.

Jay: Insofern hebt es sich schon von den bisherigen Bildern ab, dass es eben sehr konkret ist, sehr in your face. 

Gofi: Vielleicht gehen wir mal weiter zu einem Bild, dass ich auch zu einem kleinen Film weiterverarbeitet habe: ‘Friendly Take Over’ (S. 33). Was du nicht wissen kannst: Der Hintergrund dieses Bildes ist von einer Künstlichen Intelligenz gemacht worden, von Dall-E 2 von OpenAI.

Jay: Und da hinten im Hintergrund, da sieht man einen jungen Mann. Der sitzt auf so einem Ding, wie man, die vor Supermärkten oft sieht …

Gofi: Genau. Das ist ein elektrischer Rodeo Bulle aus einem Vergnügungspark. Den habe ich mal fotografiert. 

Jay: Und im Vordergrund ist eines dieser müllerschen Fabelwesen: eine grüne Antilope mit Boxhandschuhen auf den Hörnern. Das kennt man schon von anderen Bildern von dir, oder? Mit dem Motiv arbeitest du gerne. Und dann spielt der Heilige Geist auch noch eine Rolle in diesem Bild. 

Gofi: Richtig. Der schwebt zwischen den Hörnern der Antilope. Sie ist offensichtlich vom Heiligen Geist erfüllt. Das ist ein Pfingstfeuer, das ich aus einem Bild geliehen habe, das in einer Kirche in der Ukraine zu sehen ist.

Jay: Und die Antilope hat sogar einen Heiligenschein. Fantastisch. Dass der Hintergrund von einer KI erstellt worden ist, hätte ich natürlich nicht erkannt. Ich hätte das für ein ganz normales Foto gehalten. 

Gofi: Das war mir wichtig, dass in der Ausstellung auch Bilder zu sehen sind, die von künstlicher Intelligenz gemacht worden sind, weil das inzwischen auch Teil unserer Wirklichkeit ist. Man könnte dieses Bild vielleicht als eine Art Ikone verstehen, die man so ganz kontemplativ betrachten kann.

Jay: Dafür ist die Antilope aber ein bisschen zu grell. Als meditativ empfinde ich das Bild jetzt nicht gerade. Klar, es enthält Elemente, die man aus der Ikonenkunst kennt. Aber dass Menschen vor diesem Bild meditieren, kann ich mir jetzt nicht vorstellen. Dafür ist es zu frech, um mich in eine entsprechende Stimmung zu versetzen.

Gofi: Natürlich, da gebe ich dir recht. Aber wenn ich das Bild dennoch mal als eine Ikone verstehe, dann könnte ich denken: Vielleicht begegnet mir als meditierenden Menschen so eine fremdartige Heiligkeit, die mich aus der Reserve lockt. Mich als Gläubigen beschäftigt etwa die Frage, ob nicht auch Tiere vom Heiligen Geist erfüllt sein können. Von der christlichen Tradition her würde man das wohl eher nicht so sehen. Aber ich frage mich, warum eigentlich nicht?

Jay: Vielleicht weil nirgendwo in der Bibel steht, dass sie vom Odem Gottes angehaucht worden sind?

Gofi: Vielleicht. Oder weil nirgendwo steht, dass an Pfingsten auch Hunde und Katzen anwesend waren. Was ich toll gefunden hätte, wenn durch die Straßen von Jerusalem ein brennender Hund gelaufen wäre.

Jay: Ja, der dann aber wie ein Vogel zwitschert, also in anderen Tierzungen spricht. Ich verstehe schon, was du meinst im Hinblick auf das Bild als Ikone. Und ich kann mir durchaus vorstellen, dass spätere Generationen die Vorstellung davon, was eine Ikone ist, dekonstruieren und ganz neue Zugänge dazu finden. Heute, würde ich sagen, funktioniert das noch nicht, jedenfalls nicht bei mir. 

Gofi: Das habe ich jetzt auch nicht ernsthaft geglaubt, dass dieses Bild dich in eine betende Haltung bringen würde. Ich meine nur, dass es sich gewisser Elemente bedient, die man eben von Ikonen kennt. Und was ich möchte, ist, dass man dieses Bild betrachtet und sich darüber Gedanken macht, wessen Spiritualität wichtig oder angeblich unwichtig ist. 

Jay: Man könnte das Bild vielleicht auch ‘Dekonstruktionsprozess’ nennen.

Gofi: Ja, ich finde das Wort Dekonstruktion gerade ganz hilfreich. Das ist ein Begriff, der mir für meine Bilder bisher noch nicht in den Sinn gekommen ist, der sie mir aber ein bisschen mehr aufschließt. Denn man kann schon sagen, dass sie ein gewisses Wirklichkeitsverständnis dekonstruieren.

Jay: Und es ist eben keine Neukonstruktion, sondern es ist der Moment, indem du sagst: Okay, und was mache ich jetzt damit? Diesen Moment fängst du ein. 

Gofi: Genau. Den Begriff Dekonstruktion muss man ja gar nicht unbedingt als einen religiösen Begriff verstehen, sondern als einen generellen Zweifel am Status quo, an der Wahrnehmung der Welt, als die Frage: Könnte es sein, dass die Dinge in Wirklichkeit anders sind? Und wenn dem so wäre, was würde daraus folgen? Das würde ich als Dekonstruktion verstehen. 

Wollen wir noch ein Bild anschauen?

Jay: Oh, das ist auch schön, ey!

Gofi: Das ist jetzt nur gemalt, also keine Collage.

Jay: ‘I Miss My Birds’ (S. 17). Unsere Hörerschaft weiß, um welche Vögel es sich handelt. Wie heißen die beiden noch mal? Marx und Engels? Das sind doch Lymphknoten-Papageien, oder? Wie heißt das noch mal? (lacht)

Gofi: Nymphensittich! (lacht) Ja, die sind natürlich namensgebend. Aber das Bild handelt nicht von Nymphensittichen. Ich habe es ebenfalls mit dem Virtual Reality Headset gemalt. Es ist also ein digitales Gemälde. Was uns zu der Frage führen könnte, ob das eigentlich gut oder schlecht ist, dass dieses Bild nur als digitale Kopie existiert. 

Jay: Du meinst, weil es dadurch beliebig oft reproduzierbar ist?

Gofi: Ja genau.

Jay: Mir wäre nicht aufgefallen, dass das Bild mit einer VR-Brille gemalt worden ist. Auch dieses Bild hat wieder etwas Surreales, so wie die anderen Bilder. Wenn der junge Mann jetzt nicht diese afrikanische Maske tragen würde, dann könnte man vielleicht denken, dass es sich um eine Szene aus einem Krieg handelt. Aber diese Maske fügt dem Ganzen etwas Traumartiges hinzu.

Gofi: Und achte mal auf die Teile der Ruine im Hintergrund: Die sind nur noch in ihren Konturen gezeichnet und gar nicht mehr ausgemalt. Das könnte man auch als ein Signal verstehen, dass es sich hier um eine Art traumartiger Sequenz handelt.

Jay: Es ist witzig: Ich versuche wieder zu verstehen, was die Aussage dieses Bildes mit dir zu tun hat. Deshalb denke ich natürlich sofort an deine beiden Vögel. 

Gofi: Ja ja, aber die sind hier natürlich gar nicht gemeint. Ich bin ja kein dunkelhäutiger junger Mann, der in einer Ruinenlandschaft lebt. Meine Vögel waren nur der Ausgangspunkt des Bildes. Im Prozess hat es sich dann verselbständigt.

Jay: Ja, das ist mir natürlich völlig klar. Ich bemerke es nur an mir selbst, dass ich sofort dazu übergehe, nach einer Deutung für das Bild zu suchen, anstatt es erst einmal auf mich wirken zu lassen.

Gofi: Vielleicht hilft es ja, wenn ich dir ein paar Details über das Bild verrate. Diese Ruine z. B. habe ich von einem Bild abgemalt, das den Krieg in der Ukraine zeigt. Das ist von einem Foto, das ich in den Nachrichten entdeckt habe. Und diese Ruine wirkte auf mich schon wie ein Kunstwerk. Es stand in der Landschaft wie ein Monument. Ich habe das Bild gesehen, es gespeichert und mir gedacht: Irgendwann male ich dich einmal.

Jay: Warum hast du das Foto der Ruine dann in diesem Fall nicht so in das Werk eingebaut, wie du das bei den anderen Bildern gemacht hast? 

Gofi: Das Gemälde existierte schon, als ich beschloss, vor allem Collagen zu machen. Das ist kurz vorher entstanden. Das ist übrigens eins meiner Lieblingsbilder. Ich finde es selbst total rätselhaft. Aber es gefällt mir irgendwie gut. Ich kann ja mal versuchen zusammenzufassen, was mich bewegt, wenn ich es betrachte. Der Krieg in der Ukraine beschäftigt mich, so wie wahrscheinlich jeden von uns. Und es ist wieder dieser Aspekt, dass in unserer unmittelbaren Nähe, quasi in Sichtweite, unglaubliche Dinge passieren, während wir unser normales Leben weiterleben. Das ist für mich eine Grundspannung, die ich echt schwer aushalten kann. Ich kann das ignorieren, versuchen zu verdrängen, aber es kommt auch durch die Nachrichten immer wieder hoch. Dieser junge Mann ist ja offensichtlich dunkelhäutig. Und ich denke, ich assoziiere damit einen Menschen, der sich in einer Umgebung befindet, in der er sich in den allermeisten Fällen fremd vorkommt, zumindest in unserer Gesellschaft. Der weiß: Jeder zweite Blick, der ihm gilt, gilt in Wirklichkeit seiner Hautfarbe. Und diese Maske verstärkt den Eindruck noch von einer vielleicht afrikanischen, auf jeden Fall aber fremden Identität. Sie steht für eine Religiosität, die nicht europäisch ist, die mich als Europäer aber fasziniert. Ich frage mich, was passiert, wenn diese Masken aufgesetzt und wenn sie z. B. bei rituellen Tänzen von Schamanen getragen werden. Welche Form von spiritueller Wirklichkeit erfahren die Leute, wenn sie das tun? Welche Welten erschließen sich dadurch? Hier stoßen Kontraste aufeinander. Der Krieg auf der einen Seite, diese spirituelle Welt, die mir vollkommen verschlossen ist, auf der anderen. Und die Vögel stehen für mich für das, was ich mir gerade am meisten herbeisehne, Dinge oder Wesen, mit denen ich nur positive Gefühle verbinde.

Jay: Also so etwas wie ein Heimatgefühl. 

Gofi: Ja, genau!

Jay: Deshalb auch: I Miss My Birds.

Gofi: Genau. Die Sehnsucht nach einer Wirklichkeit, so wie ich sie mir wünsche. Aber hier sind die Vögel nur ganz geisterhaft gemalt, durchscheinend, als wären sie nicht wirklich da. 

Jay: Da muss ich jetzt echt mal sagen: Du sagst zwar immer, die Künstler*innen sollen mir nicht ihre Werke erklären, lasst die Bilder doch mal einfach auf euch wirken! Aber das, was du jetzt zu deinem eigenen Kunstwerk erzählt hast, bringt mir das Bild noch einmal viel näher. Okay, meine eigene Deutung wird damit ein wenig übermalt, das stimmt. Aber jetzt bekomme ich etwas zu fassen, was ich vorher nicht ohne Weiteres verstanden hätte. 

Gofi: Wenn ich ehrlich bin, habe ich das vorher auch noch nie so formuliert, wie ich das gerade getan habe. Erst in diesem Augenblick, in dem ich das so verbalisiere, denke ich: Ah ja, stimmt. So könnte es wirklich sein.

Jay: (lacht) Ich meine nur, weil wir öfter darüber diskutieren, wie sehr man Kunstwerke erklären soll: Mir haben deine Hinweise jetzt echt geholfen, das Bild nicht gut zu finden, sondern es noch besser zu finden. 

Gofi: Es bleibt ja auch noch Deutungsspielraum. Die Betrachtenden können das Bild immer noch auf ihre eigene Situation anwenden, es ist nicht tot erklärt. Alle Betrachtenden bringen ihre eigenen Geschichten mit und können sie mit dem Bild verknüpfen.

Jay: Vorhin hast du eine Frage gestellt zum Thema Original und Kopie. 

Gofi: Ja, das wäre gerade bei diesem Bild eine spannende Frage. Ich habe es natürlich auch drucken lassen, und es sieht gedruckt wirklich wunderschön aus. Aber es ist eben nicht das Original. Schmälert das den Wert des Bildes?

Jay: Na gut, das ist bei Fotografien ja eigentlich auch so. In dem Fall könntest du sagen: Das Original ist das negativ. Aber du hast immer eine Reproduktion, die du dann in einem Buch veröffentlichst oder in einer Ausstellung zeigst. Das ist also nichts Neues, sondern als Prinzip nur auf die Malerei angewandt.

Gofi: Das stimmt. Aber du hast mir mal von einem Moment erzählt, wo du vor einem Original gestanden hast, einem Beckmann, und wie es dich da plötzlich echt erwischt hat. Das ist doch ein krasser Moment, oder nicht?

Jay: Das stimmt. Aber ob das daran gelegen hat, dass es sich um das Original gehandelt hat? Ich habe keine Ahnung, ob sich so ein Moment mit einem guten Druck auch erleben lässt. Warum sollte das nicht möglich sein?

Gofi: Weil es nicht das Bild ist. Es ist nicht das Bild, das von der Hand berührt worden ist, die es geschaffen hat. Solch ein Bild kann ja beinahe eine Art religiöses Artefakt sein. 

Jay: Aber ganz ehrlich, ich gehe nicht durch ein Kunstmuseum und stelle mir vor, wie Picasso hier die Striche gemacht hat, sondern ich schaue mir das Ding an und denke: Boah, stark! Oder: Verstehe ich nicht! Wenn dort eine Reproduktion hängen würde, ich weiß nicht, ob das nicht denselben Effekt hätte.

Gofi: Ich habe mal in Bremen eine van-Gogh-Ausstellung besucht. Da hingen nur Drucke auf Leinwand, in den originalen Größen, auch in diesen mächtigen Bilderrahmen. Aber es waren eben nicht die Originale. Und du weißt ja, dass van Gogh mit ganz dicker Farbe gemalt hat, richtig fette Strukturen. Das in gedruckter Form hat einfach nicht dieselbe Wirkung. 

Jay: Das stimmt, da hast du recht. Ich habe mal eine Ausstellung mit den originalen Werken von van Gogh besucht. Ich weiß genau, was du meinst.

Gofi: Ich will damit nicht meine eigene Ausstellung abwerten. (lacht) Ein wichtiger Punkt dieser Ausstellung ist eben, dass ich Bilder zeige, die so hergestellt wurden, wie die allermeisten Bilder, die uns umgeben. Ich persönlich glaube auch nicht daran, dass jede Kunsterfahrung immer gleich eine Sensation sein muss oder eine quasi-religiöse Erfahrung. Ich kann mir auch eine Kunsterfahrung vorstellen, die mich vollkommen kaltlässt und genau deshalb richtig ist. Bei meiner Ausstellung wird das wahrscheinlich nicht passieren, dass man vor einem der Bilder steht und sagt: ‘Wow! Das ist jetzt also das Original!’ Darum geht es einfach nicht.

Jay: Okay, mag sein. Aber dennoch wirkt dieses Bild ja. Und so kann es mir auch mit einem Bild gehen, dass ich in einem Kunstband entdecke und das mich bewegt. Ich habe diese Erfahrung z. B. mit dem Isenheimer Altar gemacht, ein Bild, das ich mir immer wieder angeschaut habe. Irgendwann bin ich dann auch einmal hingefahren, um den Altar im Original zu sehen. Und ja, das ist schon ein Ding. Weil er eben auch groß und mächtig ist. Aber das Bild an sich funktioniert auch, ohne dass ich davor stehe. Und ich würde sagen, dass das bei deinem Bild auch funktioniert, auch wenn es das Original letztlich nicht gibt. Worüber wir jetzt gar nicht gesprochen haben: Da ist ja eine ganze Menge Message in deinen Bildern enthalten!

Gofi: (lacht) Da freust du dich, ne? 

Jay: (lacht) Ja, da freue ich mich. Denn sonst bist doch du immer derjenige, der betont, dass Bilder nicht Botschaften verkünden sollen.

Gofi: Ja, ich weiß. Ich bin da nicht sehr konsequent. Keine Ahnung, diese Bilder herzustellen war für mich eben eine Form, mich an der Wirklichkeit abzuarbeiten. Ich glaube nicht, dass ich predige. Aber es sind schon ziemlich klar nachvollziehbare Punkte, die ich hier mache. Es ist eigentlich immer wieder das Problem dieser spannungsvollen Wirklichkeitserfahrung, die aus lauter miteinander konfligierenden Sphären entsteht, und die man wahrnimmt, wenn man nicht vollkommen brain dead ist und nur in seiner komischen kleinen Spießerblase lebt. Und das verarbeite ich eben.

Jay: Na gut, und der Titel ‘Everybody’s Looking For Something’ ist dann eben auch Programm. Die Ausstellung heißt ja nicht ‘Farbträume’ oder so. Es ist also von Anfang an klar, dass es hier um mehr geht als nur Ästhetik.

Ein Kommentar

  1. „Und wie immer bin ich erster,….“
    J.B.O.

    Wow, solch ausführliche Einblicke hätte ich gar nicht erwartet.
    Von Gofi hätte ich eher erwartet: Die Kunst spreche für sich.

    Und doch hätte man/ich so viel nicht gesehen.
    Auch mich begleitet die innere Zerrissenheit von Alltag und Weltschmerz; doch hätte ich sie in der Ausstellung gar nicht erkannt.
    Für mich war die Ausstellung vor dem Talk krass dadaistisch angehaucht. So eine Art Überhöhung des Poststrukturalismus, der nur noch aus vorhandenem Material „Neues“ zu schaffen gedenkt und damit m.E. einem perfidem Materialismus auf dem Leim geht.

    Zu abgedroschen wirkt dabei die Ausrede, doch ja nichts in Schubladen zu stecken und die Kunst doch für sich wirken zu lassen. Blablabla…Die Kunst entsteht bei der Rezeption. LirumLarumLöffelstiel.

    Doch Gofi belässt es eben nicht dabei, scheißt auf sein Geschwätz von gestern und hält es diesmal eben für angebracht, dreiviertel Takte dazu zu sagen.

    Es soll nicht zu meinem Schaden gewesen sein.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert