Kann Schönheit die Welt retten?

Im Internet wird der Satz ‚Schönheit wird die Welt retten‘ unglaublich häufig zitiert. Anscheinend hoffen viele Menschen, dass er wahr ist. Aber ist er das? Wo kommt der Satz eigentlich her? Und was ist überhaupt ‚schön‘? Wir reden über Instagram, Kitsch und was das Schöne mit dem Schrecklichen zu tun hat. Ein scharfer Ritt von Weihnachten nach Russland, durch die Religion zum Weltuntergang und zurück. Aber hört selbst!

Jeff Koons‘ Pudel sieht übrigens so aus.


Dies ist Josef Früchtls Vortrag, den wir öfter zitieren:

Rilkes erste Duineser Elegie beginnt so:

Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel
Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme
einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem
stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.

Leonardo Boffs Kommentar zu Dostojewskis ‚Der Idiot‘ findest du hier.

20 Kommentare

  1. Hey Gofi, hey Jay!
    Alter Schwede, bei Eurem Gespräch über Dostojewski, bzw. den Fürsten und als ich dann das Gemälde von dem ‚toten Christus ansah im Internet‘ hats mich erwischt, das geht tief.
    Gestern Nacht las ich in dem Buch von Richard Rohr ‚Nur wer absteigt? kommt auch an‘:,,Die Jesusverehrung steht im Mittelpunkt unserer Gottesdienste und doch übersehen wir ständig die zentrale Botschaft, dass wir nämlich dem Kreuzweg nachfolgen sollen, dass der wahre Abstieg ist….Die meisten Religionen sind unfähig das Dunkle in sich selbst zu sehen….Weil sie ausgrenzt, kann die Botschaft vom Aufstieg niemals frohe Botschaft sein. Die Botschaft vom Abstieg schließt ein.“ Soweit Richard Rohr. Ich erlebe zur Zeit oft diese Ohnmacht im körperlichen/seelischen Bereich, diesen Abstieg in die Regionen, wo Intellekt und Menschen nicht mehr hingelangen. Und gerade in dieser absoluten Ohnmacht, diesem Schwebezustand zwischen Himmel und Erde, kommt manchmal diese Schönheit zum Ausdruck, die nicht mit Worten zu Beschreiben ist!
    Sorry, wenn ich abgedriftet bin! Bin Euch krass dankbar für diese Impulse!
    Vielen Dank an Euch!!! Liedempfehlung: Haben oder Sein vonnJens Böttcher!
    Greetings! Sören

  2. Was ein Spitzentalk, Jungs.
    Wollt ihr nicht mittelfristig, Hossatalk monatlich bringen und die Sache hier fokussieren?
    Irgendwie wirkt ihr bei Cobain gelöster und noch mehr Freischnauze als gewöhnt. Gefällt mir gut.

    Das Problem mit dem Copyright hat sich ja auch geklärt. Jay macht einfach Gesangslagen 🙂

    Zur Sache. Schönheit wird die Welt retten.
    Ihr habt ganz vergessen, darüber zu reden, dass der Satz im Futur geschrieben ist.
    Oder ich habe es überhört.
    Die Sentenz ist also mehr Prophezeiung, Verheißung oder einfach ins Blaue getippt a lá „Was soll uns sonst retten außer die Schönheit?“. Die Rationalisierung und Mechanisierung hat uns nicht gerettet und auch das Geld nicht.
    Ergo: Schönheit als Impetus unseres Handelns. Wir handeln natürlich, um zu überleben. Wir handeln auch, um voranzukommen. Aber alles Handeln bleibt doch fad und auch ein Stückchen langweilig, wenn es nicht der Schönheit der Welt dient.
    Ergänzend dazu weise ich darauf hin, dass jegliche Tätigkeit des Menschen eine Kunst darstellen kann. Ein Meister lässt eine schwierige Sache bekanntlich immer ganz leicht aussehen. Und das ist doch schön, oder?
    Kunst lässt uns spielen, aber sie fordert uns auch einiges ab.
    Ein durch und durch biblischer Gedanke, den Paulus auch in seinen Briefen immer wieder aufgreift, wenn er schreibt „das Gute“ zu behalten.
    Die Frucht im Garten Eden war bekanntlich auch eine „Lust für die Augen“.
    Die Bibel sieht das Thema „Schönheit“ also sicher sehr differenziert. Gerade das Hohe Lied der Liebe kann als Ode an die sexuell stimulierende Schönheit des menschlichen Körpers gelesen werden.
    Vllt. Führe ich mal eine Wortstudie über das Schöne in der Bibel durch. Wäre sicherlich erhellend.

    Was Jay als alter Filmfreak leider aus Zeitgründen vergessen hat, ist das Endzitat aus King Kong: „Beauty killed the Beast.“
    Das Schöne kann uns also auch vernichten, was ja im Rilkezitat wiederum anklang.

    Videotipp zum Engelzitat (8 Min.): https://www.youtube.com/watch?v=40KcrrfbJ6o

    Ansonsten freue ich mich auf Thorsten Dietz und das Gespräch über Fight Club, den ich dann wohl doch nochmal werde schauen müssen, um euch ganz genau aufs Maul schauen zu können.

    • Hey, Kriti-Sir,
      der Satz ist im Futur geschrieben… Dazu haben wir wirklich nix gesagt. Und jetzt, wo du das anmerkst, muss ich sagen, holla, wie konnte uns das durch die Lappen gehen? Zumal der in den SN verlinkte Vortrag, über den wir sprachen, genau diesen Gedanken aufgreift und sich ganz viele Gedanken über Schönheit und apokalyptische Hoffnung macht. Der Vortrag lohnt sich wirklich sehr.

      Das King Kong Zitat – ja, das wäre es gewesen (wobei ich zugeben muss, dass ich es nicht parat gehabt hätte 😉 ).

      Danke, für die schöne Rückmeldung.

      LG,
      der Jay

      • Ich hab mir den Vortrag angehört.
        War mir persönlich zu professoral; bin vermutlich einfach durch HossaTalk & Co. verwöhnt, was das Niveau angeht.
        Scherz beiseite – fande leider einfach keinen Zugang zu dem „Geschwurbel“.

        Wobei das Zitat aus King Kong ja auch doppeldeutig zu verstehen sein kann.
        Auf der einen Seite stirbt der arme Affe ja.
        Auf der anderen Seite muss ja – auch aus biblischer Sicht – das Biest in uns sterben, in dem es auf die schreckliche Schönheit des Kreuzestod schaut, hinter der eine „apokalyptische Hoffnung“ wartet.
        Sicherlich nicht intendiert, aber in der Sache doch interessant.

  3. Keine Ursache.
    Eure Talks wirken meisten wie ein gedankliches Trampulin für mich.
    Falls ich das mit der Wortstudie hinbekomme, schicke ich sie mal per Mail durch.

    Und puh – nachdem Talk gleich noch 90 Minuten über FC nachgelegt. R E S P E K T.

  4. Vielen Dank für euren Podcast! Ich habe zuvor nie wirklich tiefgängig über Kunst nachgedacht und merke jetzt wie interessant das eigentlich ist! Naja, besser spät als nie.
    Diese Folge hat mich echt angesprochen und ich finde es super spannend über diese scheinbar selbstverständlichen Dinge wie Schönheit, Kunst und Welt nachzudenken.
    Ich musste während eurem Gespräch immer wieder an diese Fotos denken, auf denen man Kinder mitten in einem Kriegsgebiet spielen sieht. Oder auch einen Soldat der auf einer Gitarre spielt. Und da denke ich, klar rettet Schönheit die Welt. Denn gäbe es das Schöne nicht, bleibt doch nur das Schlechte und Unschöne übrig. Fragt man sich ganz grundlegend, was denn schön ist, denke ich an lachende Kinder, Blumen, gutes Essen, Umarmungen,… Ohne all das wäre die Welt doch am Ende. Zwar schließt all das Schöne das Schlechte nicht aus, aber Rettung heißt doch etwas nicht aufzugeben. Wie wenn ein Mensch vor dem Ertrinken gerettet wird.
    Und in Bezug auf die Kunst heißt das für mich, dass all das Schöne in der Kunst zu dieser Rettung beiträgt. Lese ich ein gutes Buch, höre mein Lieblingslied oder betätige mich selbst künstlerisch, erlebe ich etwas Schönes, das mich in gewisser Weiße von dem Negative auf der Welt (zumindest für einen Moment) erlöst.

    Danke für eure Anregungen und Liebe Grüße!

  5. Seit ich als frische Kunststudentin mich intensiv mit Schönheit und dem Ringen danach befasse, drängt sich in mir immer mehr der Vergleich mit Gott auf. Da begegnet mir eine ähnlichen Fragestellung und gleiche Feststellung der Unfassbarkeit. (da könnte ich noch länger weitermachen) Da passt auch das Zitat von R.M. Rilke so treffend!
    Danke für die tolle Folge und die vielen interessanten Gedankenanstößen!

  6. Hallo!
    Vielen Dank für den Talk! Sehr interessant und zum Nachdenken anregend!

    Wenn ich mich richtig erinnere, ist das, was Dostojewskij im Idioten beschreibt, die „Aura“ vor einem epileptischen Anfall. Ich kenne dieses Gefühl der Aura nicht, aber so wie Dostojewskij es im Roman schildert, erinnert es mich ein bisschen an ein Erlebnis, das ich vor ein paar Jahren hatte. Beim Fußballspielen auf einem Ascheplatz hatte ich mir das Bein relativ großflächig aufgerissen. Zwei Tage später wollte ich mit Freunden für ein Wochenende wegfahren. Ich hatte Lust auf den Ausflug und bin trotz Schmerzen und das ich kaum gehen konnte, mitgefahren. Vielleicht hatte ich die Wunde nicht richtig behandelt, jedenfalls lag ich den ersten Abend im Bett und hatte eine Art Fieber. Während ich dort lag und die Stimmen im Nachbarzimmer hörte und das Licht der Straßenlampe von der Gasse durch den Vorhang fiel, herrschte eine echt seltsame Atmosphäre (in mir? im Zimmer?). Da war eine Stimmung von: Alles ist gut und alles ist schön. Nicht in dem Sinne, dass ich oder andere alles gut gemacht hätten oder es noch machen könnten, sondern dass im Grunde alles gut IST. Nichts in mir, das, was ich bin oder geleistet hätte, sondern das, in dem ich eingewoben bin, ist schön und gut. Und da kann keiner was dran rütteln, keiner was wegnehmen. Ich weiß noch, das ich dachte: Oh, ja, wenn ich jetzt sterbe, ist es auch gut. Nach ein paar Minuten war es dann wieder weg. Hat vielleicht etwas Ähnlichkeit mit der Präsenzerfahrung, von der ihr geredet habt.
    Im Nachhinein kann man sagen, dass es halt eine Art Wundfieber war. War es vielleicht auch. Aber trotzdem bin ich bis heute der Überzeugung, dass das, was da war, wirklicher als die Wirklichkeit war. Der eigentliche Grund der Wirklichkeit. Auf komisch verdrehte Art und Weise könnte ich daraufhin sagen (und ich glaube, aus dieser Überzeugung heraus, lebe ich tatsächlich): Hey, wenn du sagst, dass alles Scheiße ist, alles den Bach runter geht, Katastrophe hier, der Tod im Vorausblick…du machst dir da eigentlich was vor, wach mal auf! 😀 Mit deinem angenommen realistischen Betrachten der „wirklichen Welt“ begehst du tatsächlich eine Art Weltflucht unter umgekehrten Vorzeichen. Es ist nicht so, dass es diese Dinge nicht gibt, aber das letzte Wort hat das alles bei weitem nicht und du verschwendest entschieden zu viel Zeit damit, dich davon bestimmen zu lassen.
    Kennt ihr den Film „Der schmale Grat“ von Terrence Malick? Wenn der Film es schafft, einen in seine Atmosphäre hinein zu ziehen, bekommt man vielleicht eine Ahnung von dem, was ich meine.
    Ich denke, deswegen mag ich die Karl-Barth-Theologie auch so sehr. In seinem Schaffen erlebe ich immer wieder diese Art der Einstellung zur Welt.

    LG
    Jannik

  7. Hallo Jannik
    Ich kann deine Erfahrung total nachvollziehen, so Ähnliches erlebe ich auch immer wieder. Meistens passiert es am späteren Nachmittag, wenn die Sonne die Umgebung in ein warmes sattes Licht taucht, dass ich genau dasselbe spüre: Alles ist gut und alles ist schön. Genauso wie du es beschreibst. Und interessanterweise auch immer im Zusammenhang mit Licht. Es kann passieren, dass ich nur an eine simple Hausfassade blicke, die von der Sonne in dieses warme Licht getaucht wird, weit und breit kein Baum und nichts Grünes, Farbiges oder vermeintlich Schönes zu sehen ist, und ich das trotzdem so wahrnehme. Daher denke ich, dass die Atmosphäre immer von beidem bestimmt wird, von dem Raum oder Klima, in dem ich mich aufhalte, und dem Raum und Klima, welches in mir ist.
    Ich denke, dasselbe gilt für die Schönheit. Die Schönheit ist in uns, sowie um uns herum, wie du so schön sagst: das, in dem wir eingewoben sind, ist schön und gut. Ich glaube tatsächlich, dass es zutrifft, dass dies wirklicher als die Wirklichkeit ist. Schönheit ist im Guten, im Schlechten, sogar im Hässlichen und im Ekligen. Schönheit ist.

    • Hallo Julia,

      finde ich sehr interessant, was du zu den Atmosphären und dem Zusammenhang mit Licht schreibst. Es geht mir genauso, dass ich dieses Gefühl, ich nenne es mal der Geborgenheit oder Eingewobenheit, ganz oft im spätnachmittaglichen und abendlichen Licht verspüre. Interessanterweise aber nur im Frühling und Sommer. Im Spätherbst und Winter hat dieses Licht eher den gegenteiligen Effekt von Unruhe und dem Verspüren von Sinnlosigkeit.
      Ein ebenso interessantes Phänomen nehme ich auch immer wieder im Zusammenhang mit Himmel und Wolken war. Manchmal, vor allem im Licht des Frühsommers, wenn weiße Wolken die Sonne hinter ihnen erahnen und hervorbrechen lassen, überfällt mich ein kurzes und heftiges Gefühl von unendlicher Möglichkeit, wie ein Tor oder Fenster was kurz geöffnet und wieder geschlossen wurde.
      Wäre sicher spannend, dem in Hinblick auf Kunst nachzugehen. Das heißt, wie vermag Kunst solches im Menschen hervorzurufen.

      LG
      Jannik

  8. Hallo Jannik
    Wie vermag Kunst solches im Menschen hervorzurufen? Keine Ahnung, aber sie tut es! Für mich gibt es da Musik, die dieses Fenster öffnet, die Palette reicht von Bach bis Iron Maiden (was ‚The Trooper‘ in mir auslöst kann ich überhaupt gar nicht beschreiben), oder Fotografie, gewisse Bilder, gewisse Farben und Stimmungen, und es gibt Filme, die eine Art Hoffnung wecken und dieses: ich-kann-alles-Gefühl auslösen… Wir spüren wahrscheinlich viel mehr als wir tatsächlich wahrnehmen, nehmen es als Selbstverständlich hin und versuchen zum Glück auch nicht das permanent zu analysieren (die Analyse ist manchmal der Todesstoss für den Zauber). Wir fühlen immer, auch dann, wenn wir nicht mehr denken, und zum Glück müssen wir nicht alles verstehen… Schönheit liegt tatsächlich im Auge des Betrachters, und was uns bewegt, hat so viel mit uns selbst zu tun… wir selbst sind (kein unwesentlicher) Teil der Kunst…

  9. Hi Julia,

    ja, natürlich hast du Recht damit, dass der Zauber durch das Analysieren des Zustandekommens kaputt geht. Wenn man sich aus dem Erleben in eine Analystenrolle begibt, steht man daneben, nicht darin.
    Aber dennoch ist es daraufhin, finde ich, gerade interessant, darüber nachzugrübeln, was das genau sein könnte, was es auslöst. Was ist das Wesen der Kunst? Was geht einen da an? Das Eröffnen neuer Perspektiven und daraufhin eines Dialograums (mit sich selbst, mit anderen)? Das Aufstellen einer Welt und die Ermöglichung des Eintauchens in diese? Purer Genuss, schlichtes Gefallen? Ein Konglomerat aus mehreren dieser Aspekte, nicht unbedingt auf einmal, sondern mal so, mal so? Ich kann mich zum Beispiel noch genau daran erinnern, wann ich zum ersten mal bewusst “Solsbury Hill“ von Peter Gabriel und “I still haven’t found what I’m looking for“ von U2 gehört habe. Da war ich wie paralysiert. Nach „Stagnation“ von Genesis war ich fasziniert. Das eine war purer Genuss, das andere das Aufstellen einer Welt. Ähnlich und doch anders erging es mir mit und nach dem Schauen von dem schon erwähnten „Der schmale Grat“ oder auch „La grande Bellezza“. Ebenso mächtig in der Wirkung, aber auf andere Art anregend.
    Wie die Kunst auf den Menschen wirkt, hat sicherlich zu einem erheblichen Teil mit dem Menschen zu tun. Dass sie wirkt, ist meines Erachtens dem Kunstwerk inhärent. Was das ist? Tja…

    LG
    Jannik

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