Wie politisch darf/muss Kunst sein?

Ein Riss geht durch die Kunstwelt, hat die Berliner Zeitung im vergangenen November geschrieben. Zwischen Künstlerinnen und Institutionen herrschen Uneinigkeit und Streit darüber, was man in politischer Hinsicht sagen darf oder sogar muss und was nicht. Erst die Documenta und der Antisemitismus-Eklat, jetzt die Morde der Hamas und Israels Bombardement des Gaza-Streifens: Künstlerinnen beziehen dazu Stellung. Müssen sie das? Kann Kunst das überhaupt? Was passiert mit Künstler*innen, die die vermeintlich ‚falsche‘ Haltung einnehmen? Kann man der Kunst eine Haltung vorschreiben? Und wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass diese erbitterten Auseinandersetzungen ausgerechnet im Feld der Künste und der Kulturinstitutionen ausgetragen werden? Ein echt schwieriges Thema, dem dieser Talk nicht gerecht werden kann. Wir versuchen es trotzdem. Gute Unterhaltung.

Das Interview mit Candice Breitz im Guardian findet Ihr hier.

Buchtipps:

Teile deine Liebe

5 Kommentare

  1. Hey,

    ich fand die Folge sehr gut und die Fragen, die ihr behandelt. Danke Jay, dass du noch eingelenkt hast… 😉

    Ich finde nicht, dass Kunst politisch sein muss oder sich positionieren muss. Ich find es generell eher schwierig, einen Anspruch zu definieren bzw. festzulegen, wie Kunst sein muss. Auch nicht, dass Kunst besonders „künstlerisch“ sein muss. Ich verstehe den Ansatz, dass das Werk für sich stehen soll und nicht die Message der Kunstschaffenden transportieren muss. Ich würde mir von Kunst aber wünschen, dass sie mich bewegt, berührt, mich verändert. Und das hängt nicht daran, ob bzw. wieviel Message oder Erklärung im Kunstwerk steckt.
    Was ich extrem schwierig finde ist, wenn Kunst immer unter Verdacht ist. Wenn dem Werk oder den Schaffenden gegenüber Fragen im Vordergrund stehen wie:
    Bist du gut genug?
    Bist du nicht kitschig?
    Bist du politisch (genug)?
    Stimmt deine Message?
    Hast du zu viel Message?

    Das finde ich am Adorno-Ansatz schwierig, weil er letztlich auch nicht unbedingt die Freiheit fördert.
    Als Musiker beziehe ich mich natürlich am meisten auf diesen Bereich und da fällt mir sofort die Jazz-Polizei ein… Wenn man als Künstler immer diesen Verdachtsmomenten ausgesetzt ist (welche es dann auch immer sind), tut das meiner Meinung nach nicht gut. Nicht für’s Schaffen und nicht für die Gesundheit.
    Das am Ende auch eine Bewertung herauskommen kann die bedeutet, dass etwas z. B. nicht mit öffentlichen Geldern gefördert wird, das finde ich richtig, da wäre ich bei Jay.

  2. Hey,

    Kunst verdient Kunst genannt zu werden, wenn durch diese etwas ausgedrückt (im wahrsten Sinne des Wortes) wird, was nur durch diese ausgedrückt werden kann. Schöner Ansatz.
    Muss dabei an Simon and Garfunkels Scarborough Fair/Canticle denken. Scarborough Fair ist ein mittelalterliches englisches Volkslied, in dem eine Person einer anderen unlösbare Aufgaben stellt (z.B. einen Ort zwischen dem Meer und dem Strand zu finden), sodass diese die Aufgaben stellende Person als Liebespartner gewinnen kann. So weit so interessant. Bietet eine Menge Interpretationsmöglichkeiten. Das coole ist nun, das S und G eine zweite Gesangs- und Melodiespur hineinweben (Canticle), dessen Textfragmente (ursprünglich ein Antikriegslied) das Volkslied aufbrechen und einen völlig neuen Raum einfügen. Erst das macht dieses geheimnisvolle und mysteriöse des Liedes überhaupt aus. Das, was der Song nun ausdrückt, spielt sich im „Dazwischen“ ab, kann nicht, oder immer nur unzureichend, verbalisiert werden, kann nicht „begriffen“ werden. So wird die Aufgabe, die das Volkslied stellt, auf gewisse Weise gelöst, aber immer nur im Geschehnis der Aufführung des Songs. Hat natürlich was von der derridaischen „Differánce“, die den „Sinn“ des Werkes immer weiter aufschiebt. Gleichzeitig erscheint aber auch etwas Dialogisches, welches immer tiefer ins Verstehen des „Sinns“ hineinführt, wie es Gadamer in seiner Hermeneutik skizziert.

    LG
    Jannik

  3. „Kein Mensch muss müssen.“ – Nathan der Weise

    …und Kunst „muss“ auch schonmal gar nichts – deswegen ist sie ja so verpönt von der sog. „arbeitenden“ Bevölkerung.

    Aber ist „Kunstbetätigung“ nicht als solche schon fast immer grundsätzlich politisch in dem Sinne, dass es der Künstler für wichtiger hält, Kunst zu machen als in irgendwelchen politischen Gremien zu sitzen oder auf irgendwelchen gottverdammten Kriegsfeldern dahin geschlachtet zu werden?
    Zugegeben ziemlich dünn, aber es ist doch menschlich, lieber etwas „Schönes“ zu machen als für Hässlichkeit zu sorgen; klar gibt es auch hässliche Kunst und abgründige Kunst dazu, aber das sind dann wieder diese Ausnahmen, die die Regel bekräftigen.

    wie auch im Kommentar oben und von Jay richtig dargestellt, schafft doch Kunst eben immer Alternativen bzw. zumindestens Möglichkeitsräume zwischen schwarz und weiß etc. Eine politische Vereinnahmung einer Künstlerin oder einer Kunstrichtung gilt es stets abzulehnen, aber wenn sich ein Künstler, der immer noch Mensch ist, bemüßigt fühlt, zu diesem oder jenem etwas zu sagen oder es auch (ggf. sogar unbewusst!) in seinem Werk zu verarbeiten, liegt dies in der Natur der Sache. Und da kann ich Gofis Apathie gut nachvollziehen. „Des vielen Büchermachens“ ist kein Ende und da kann man diskutieren solange man will, gerade im Netz: Nutzlos. Auge in Auge ist das etwas anderes; wenn ich fragen kann, du willst also, dass diese und jene Menschen das Land verlassen oder für dieses und jenes hingerichtet werden…

    Bei der Definition von Kunst, dass die Kunst Dinge genauer ausdrücken kann als der genaueste Satz musste ich unwillkürlich an den Kreuzestod Jesu denken – ggf. auch in dieser Hinsicht das unbegreiflichste „Kunstwerk“ der Menschheitsgeschichte, auch wenn meine bibelfesten Freunde da in Wallung kommen würden – recht so ;).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert