Stephen Kings ES ist vielleicht sein bekanntester und viele sagen bester Roman. Wir meinen: Zurecht! Durch die letzte Verfilmung von vor fünf Jahren ist er noch einmal mehr Menschen bekannt geworden. Aber eigentlich lässt sich die Geschichte nicht verfilmen, wenn man ihre ganz zentralen Symbole anschaulich machen möchte. Das kann nur der geschriebene Text. Darüber sprechen wir. Und natürlich über all die anderen Themen: die Kindheit, das Erwachsenwerden, das Vergessen und die Monster im Keller und unter dem Bett. Wenn du das Buch bereits gelesen hast, wird dich dieser Talk freuen. Und wenn du ihn gehört hast, wirst du das Buch lesen wollen. Viel Spaß!
Yes, yes, y-ES!
Kann’s gar nicht abwarten, die Folge zu hören!!! 🙂
Super Folge, ihr beiden!
Und ihr habt allen Ernstes auch noch über DIE EINE Szene gesprochen…
😉
Mich hat sie beim ersten Lesen sehr verstört (Da war ich nur unwesentlich älter als die kindlichen Protagonist*innen, hatte die 7. Klasse wiederholen müssen und mich in dieser Einsamkeit nach Derry geflüchtet – auch ein Loser)
Und beim zweiten Lesen habe ich sie immer noch schlimm gefunden.
Wird sich bestimmt beim nächsten Mal nicht ändern, auch wenn ich jetzt einen Deutungsansatz habe.
Mich hat es generell gefreut, endlich mal eine Horrorfolge von euch gehört zu haben, die gezeigt hat, wie tiefschichtig dieses Genre (aus dem Club der literarischen Loser) sein kann
War ja ein großer Wunsch von mir.
Vielleicht kommt ihr auch irgendwann mal wieder zum Horror zurück.
Übrigens ist das, was ihr bei King so gut findet, dass er immer wieder die gleichen Orte, Bücher und Personen in seinem Werken auftauchen lässt, ein Lovecraft’scher Einfluss. (Habt ihr auch vielleicht schon in der Folge gesagt). Neben dieser ganzen kosmischen Dimension des Horrors, die Lovecraft ganz stark mitgeprägt hat.
Und nun eine Frage ans Kommentarspaltenplenum:
Welche Verfilmung von ES ist die bessere? 😉
Grüße
Hey Gerrit, toll, dass es dir gefallen hat! Ich habe den Lovecraftschen Einfluss zwar erkannt, aber dass das ein Element seiner Kompositionen ist, war mir nicht klar. Danke für die Ergänzung. hab ich dir jemals erzählt, dass ich meine Examensklausur in Literatur über Lovecraft geschrieben habe? Ich hab die noch irgendwo … Mir persönlich gefällt die aktuelle Verfilmung am besten. Die davor fand ich irgendwie albern. Grüße zurück!
Hey Gofi,
Das mit der Examensarbeit wusste ich nicht. Nice! Die würde mich ja interessieren. 😉
Wenn man sich die englischen Wiki-Artikel zu vielen Lovecraft-Geschichten anschaut, findet man dort auch oft einen Absatz, wie diese Geschichte mit dem restlichen Werk oder seinem Cthulhu-Mythos verknüpft ist.
Die alte Es-Verfilmung hat mit Tim Curry halt einfach einen genialen Pennywise. Wenn ich „ES“ lese oder davon höre, sehe ich Tim Curry.
Hallo Gerrit,
schön, dass Dir die Folge so gut gefällt. Das Gespräch hat mir Riesenspaß gemacht.
Ich finde ja auch die neue Verfilmung besser. Wobei ich den ersten Teil der alten auch schon ziemlich gut fand. Der zweite Teil schmiert dann leider komplett ab. Aber Tim Curry war klasse, keine Frage. Aber auch bei der Neuverfilmung ist der erste Teil der deutlich stärkere. Wir hatten ja darüber gesprochen, den Charme der Kindheit ins Erwachsenenleben zu transportieren, schafft King durch seine verschachtelte Erzählweise. Wenn man das als zwei aufeinanderfolgende Geschichten fürs Kino erzählt, bleibt der Erwachsenenteil einfach immer deutlich hinter der Kindergeschichte zurück.
LG,
der Jay
Hallo ihr beiden,
vielen Dank für diesen spannenden Einblick. Ich habe das Buch vor vielen, vielen Jahren mal angefangen, es nicht verstanden und relativ schnell abgebrochen. Aber vielleicht sollte ich es nun noch einmal versuchen. Welche Übersetzung ist denn die bessere, also die mit dem Rad statt des Kreises?
Viele Grüße
Joshi
Danke, Joshi, das freut uns! Ich weißes leider nicht genau, aber die mit dem Kreis war eine neuere, die mit dem Rad eine wesentlich ältere Übersetzung. Vielleicht kann Jay mal schauen, aus welchem Jahr seine Ausgabe ist. Das war die mit dem Rad.
Also ich habe die 10. Auflage. Was die Übersetzung angeht, steht im Inlay: „Aus dem Amerikanischen von Alexandra von Reinhardt, Bearbeitet und teilweise neu übersetzt von Joachim Körber“. Die kann ich auf jeden Fall sehr empfehlen. 🙂
LG,
der Jay
Eine tiefgründige Folge über ein tiefgründiges Buch!
Gofi, du hast ja richtig viele Schätze gehoben, die mir als Fan auch noch nicht aufgefallen waren, die ich größtenteils plausibel finde, und die dich natürlich genau in die Rolle des Literaturwissenschaftlers bringen, gegen die King / Bill Denborough angeblich anschreibt. Vielleicht sieht der Autor das ja wirklich so, aber gelungene Kunst beschäftigt einen nun mal und dann will man drüber reden, dann will man auch was kluges sagen und schwupps, schon sind wir in der Hermeneutik. Ich finde das nicht schlimm. Ich finde das nur richtig so. (auch in „Love“ ist glaube ich der Literaturprof. der böse Psychopath)
Noch zwei grundsätzliche Gedanken.
1) Zur Abgründigkeit der Realität. Ihr habt ja herausgearbeitet, dass die „übernatürliche“ Bosheit des Monsters und die allzumenschlichen Gemeinheiten des Alltags in diesem Roman eng verflochten sind.
Das finde ich überhaupt typisch für diesen Autor und das macht auch seine Qualität aus, z.B. auch in „Needful Things“, wo dieser skurrile Ladeninhaber „in einer kleinen Stadt“ (dt. Titel) die Menschen mit kleinen Streichen / Nadelstichen gegeneinander aufhetzt, bis sie sich gegenseitig an die Gurgel gehen.
Sartre sagte bekanntlich „Die Hölle, das sind die Anderen.“ Ein Mensch, der alleine auf der Welt wäre, hätte vielleicht (!) ein trauriges, sinnloses Leben. Aber keine Hölle. Der Horror, die Gewalt besteht darin, dass deine Schwäche, deine Angst, deine Verletzlichkeit ausgenutzt wird – oder zumindest ausgenutzt werden könnte. Das ist die Erfahrung des Verliererclubs als Mobbingopfer. Zur Hölle gehört die böse Absicht. Naturkatastrophen und Unfälle haben keine Absichten. Menschen schon.
Ich will hier mal eine gewagte Parallele zu Freud ziehen. Für Freud steht das „Ich“ zwischen dem „Über-Ich“, den Werten und Normen der Gesellschaft / Kultur und dem „Es“ (!!!), einem blinden, unreflektierten Trieb. Der Mensch steht zwischen Wollen und Dürfen. Mit dieser Spannung umzugehen bedeutet auch Erwachsen Werden.
Für Freud ist das rational unverständliche „Es“ ein Restbestand der Natur, also etwas, das wir mit Tieren teilen. Könnte es aber nicht auch anders sein? Das wäre für mich die Pointe bei King, insbesondere in diesem Buch. In uns drin schlummert „es“, in bestimmten Stress- und Krisensituationen bricht „es“ aus uns heraus, z.B. in Bürgerkriegen, Amokläufen etc. und nachher ist ein großes Stück weit unerklärlich, warum Menschen „es“ getan haben. Tiere tun „es“ nämlich nicht.
Das Böse ist in „Es“ scheinbar das ganz Fremde, eine außerirdische Macht. Gleichzeitig schlummert sie aber in Wahrheit unter der Stadt. Der Mensch muss sich diesem „Es“ stellen, muss in die Katakomben, um „es“ zu bezwingen. Bis dahin trägt er irgendwie das böse Potenzial, ein gutes Beispiel ist vielleicht die Figur von Henry – einerseits ein klassischer Bully, andererseits ein Werkzeug von „Es“, ein Werkzeug, das aber dann auch gegen Beverlys Ex-Mann ausgetauscht werden kann usw.
2) Zum Horror-Genre generell
In zwei Nebensätzen hat Jay davon gesprochen, wie die Geschichte einen „in den Bann zieht“.
Ich glaube, das ist genretypisch für Horror (und auch für Thriller).
„Bann“ heißt, man ist versteinert, kann sich nicht rühren, ist aber auch nicht betäubt, sondern zwangsweise fokussiert auf das, was passiert. Ein schrecklicher Verkehrsunfall, den du in Zeitlupe erlebst, ohne weg schauen zu können. So fühlt sich das Lesen / Sehen von Horror an.
Warum geben wir uns das eigentlich?
Das Interessante ist doch, dass genau dieses Gefühl der Leserin vergleichbar ist mit der Situation des Protagonisten IN der Geschichte: Der ist ja auch gefesselt und dem Monster / dem Psychopathen hilflos ausgeliefert, kann nicht weg, muss alles mit ansehen.
Zwei Vergleiche:
a) Typisch für Alpträume ist, dass man starr ist, sich nicht rühren kann, vielleicht auch stumm, und alles mitansehen muss.
b) So wie Menschen auch traumatische Erfahrungen immer wieder neu durchleben, die Augen selbst dann nicht zumachen können, wenn das Geschehene vorbei ist.
In allen diesen Fällen gibt es einen Zusammenhang zwischen Starre und erzwungener Wahrnehmung. Vielleicht versucht der Horror, an diesen Zusammenhang zu rühren, sich ihm auszusetzen und ihn dadurch zu bewältigen. Ich kann ihn „simulieren“, ohne selber dabei draufzugehen.
Andererseits ist der „Bann“ aber auch genau das, was der Protagonist dem bösen Wesen antun will. Der Dämon wird ausgetrieben, der Psychopath eingefangen, „Es“ aus der Stadt vertrieben. Dazu muss „es“ aber erst mal lokalisiert, an genau einer Stelle verdichtet werden. So wie vlt eine Psychotherapie herausarbeiten würde, wo genau der Schmerz / die Angst sitzt, so weh es auch tut, weil sich die Patientin dem nur so stellen kann – und genau das ist ja auch der Fluchtpunkt in den Katakomben von Derry.
Das nur in aller Kürze, meine Meinung zum Thema „Fabian“ kennt ihr ja schon 😉
Den Hinweis auf Freud finde ich gar nicht gewagt, sondern total nachvollziehbar! Wir sind der Spur leider nicht nachgegangen, auch wenn ich im Vorfeld einen ähnlichen Gedanken gehabt habe. Ich kenne mich bei Freud einfach viel zu wenig aus. Deine Interpretation drängt sich ja geradezu auf. Deshalb habe ich auch ein wenig Mühe mit dieser ganzen Alien-Schose am Ende des Buches. Der Horror verliert leider gerade dann, wenn er konkret wird, während ich das untergründig lauernde ES, von dem nicht klar ist, was eigentlich wirklich ist, und das sich in der Boshaftigkeit des Alltags zeigt, viel gruseliger finde. Mich versöhnt ein wenig, dass King sich offensichtlich an Lovecraft anlehnt, aber trotzdem – der Friedrichs wird jetzt schimpfen, aber die Schildkröte, den Anderen, den ganzen metaphysischen Überbau bräuchte es für mich nicht. Nicht, wenn es darum geht, den Horror manifest werden lassen.
Yep. Danke, Florian für die intensiven Gedanken. Und ja, der psychoanalytische Blick drängt sich natürlich auf. Ist ein bisschen wie bei Fight Club, wo Tyler Durden aus der Tiefe des Kellers den Erzähler lenkt, der gerade versucht seine Beziehungsprobleme mit Marla zu klären. Da wird mit einer ähnlichen Assoziation gearbeitet. Bzgl „Es“ hatte ich das auch im Talk an einer Stelle angeschnitten, aber wie Gofi schon geschrieben hat, sind wir der Spur nicht intensiv nachgegangen. So gut, wie Du das zusammengefasst hast, Florian, hätte ich das aber eh nie hinbekommen. Danke noch mal dafür!
@Gofi, natürlich schimpfe ich da! Hossa! 🙂
Um den Horror manifest zu machen, hätte es die Schildkröte und den Anderen etc nicht gebraucht, das ist schon richtig. Für all die Anderen Themen, Autor und Werk, Schöpfer und Schöpfung, Über-Ich und Es, Mythos und Wirklichkeit usw. sind das aber schon wichtige Spuren, denke ich. Und letztlich finden sie dann auch noch innerhalb des Kingschen Gesamtwerkes ihre Plätze oder Entsprechungen. Wie gesagt, im „dunklen Turm“ wird die Schildkröte wieder aufgegriffen und übrigens auch das Rad als Hauptmetapher.
LG,
der Jay
Liebe Erben,
erstmal vielen Dank für Eure Podcasts, die ich beide sehr gerne und regelmäßig höre, meistens auf Autofahrten, wenn ich meine Tochter von der Schule abhole oder ähnliches.
So sehr ich Euch sonst schätze und vieles teile, so kann ich Euch diesmal bezüglich Stephen King leider nicht folgen. Ich habe zwar „Es“ nicht gelesen, sondern nur die erste Verfilmung vor vielen Jahren gesehen. Aber ich habe „Shining“ vor vielen Jahren und „Der Anschlag“ (wo übrigens auch die Stadt Derry und einige der Protagonisten von „Es“ vorkommen) vor ca. drei Jahren gelesen und ehrlich gesagt, für mich wars das mit King. Ich persönlich halte ihn für absolut überschätzt. Mir ist er viel zu oberflächlich in der Zeichnung seiner Charaktere und viel zu unsubtil in der Entwicklung seiner Geschichten. Am Ende läufts bei ihm immer auf irgendwelche spektakulären Actionszenen raus, bei denen ich förmlich die Comic-Blasen mit „Zack“, „Bumm“, „Krach“, „Boing“ sehe. Als Gegenbeispiel möchte ich die österreichische Autorin Marlen Haushofer und ihr Buch „Die Wand“ ins Spiel bringen, die auf für mich unvergleichliche Weise die psychologischen Nuancen des Umgangs eines Menschen mit einer Katastrophensituation beschreibt. Das hat für mich echt Tiefgang und ich denke mit Schaudern daran, was eben S. King vielleicht aus so einer Story gemacht hätte. Ist wie gesagt meine Meinung, für die ich mich aber auch nicht entschuldigen möchte.
Ansonsten wünsch ich Euch weiterhin viel Spass und gutes Gelingen bei Euren Podcasts, ich bleib auf jeden Fall dabei. Keep on keepin` on.
Euer Bernhard
Auf keinen Fall entschuldigen, Bernhard! Ich kann deine Kritik durchaus nachvollziehen. Ich glaube, uns anderen reizt gerade das ‚Schmuddelige‘ des Genres und der Versuch, in diesem Rahmen Kunst zu machen.
Lieber Bernhard,
ja, das sei dir unbenommen. Ist ja immer auch eine Geschmacksfrage.
Zu „Es“ würde ich dich tatsächlich noch mal gerne überreden, gerade weil die Abschlusskatastrophe tatsächlich vielleicht nicht unbedeutend für die Geschichte ist, aber doch vergleichsweise wenig Raum einnimmt. Und eine Hauptsache ist sie definitiv nicht. Meines Erachtens zeigt King über die Strecke des ganzen Buches sehr deutlich, dass er durchaus subtil kann. Und die Filme fangen das, wie immer wieder erwähnt, höchstens im Bruchteil ein. Wenn Dir „Es“ zu lang ist für einen erneuten Versuch, dann lies vielleicht mal „Das Mädchen“ (Originaltitel: „The Girl who loved Tom Gordon“). Das ist relativ kurz, eher eine Novelle und hat mich jedenfalls (vor zugegeben vielen Jahren) ob seiner Tiefe sehr beeindruckt. In dieser Hinsicht könnte ich auch noch „die Leiche“ empfehlen, das ist auch eine Novelle (also ein Kurzroman) in der Sammlung „Frühling, Sommer, Herbst und Tod“ und die Vorlage zu dem fantastischen Film „Stand by me“ (eine der wenigen guten King-Verfilmungen). Hier lohnen sich tatsächlich Buch und Film parallel, da an einigen Stellen unterschiedliche Perspektiven herausarbeiten und damit dem Pendant jeweils ein „Mehr“ beisteuern.
Übrigens, sogar meiner Schwiegermutter hat „Es“ sehr gerne gelesen, um nicht zu sagen, verschlungen. Und die liest normalerweise nur Hochliteratur. Mit der habe ich damals ganz fantastische Gespräche über das Buch geführt.
Sorry, für die „Bekehrungsversuche“, aber einem King-Nerd wie mir, sagt man nicht einfach, dass King unsubtil sei… 😉
LG,
der Jay
Lieber Jay,
ich würde Dir gerne einen Deal vorschlagen. Ich wäre bereit, eines der von Dir vorgeschlagenen Bücher von King zu lesen, wenn Du im Gegenzug dafür das von mir erwähnte „Die Wand“ von Marlen Haushofer liest. Wie denkst Du drüber? Wir könnten uns dann ja über unsere Eindrücke austauschen, wenns Deine Zeit und Motivation erlaubt.
Lieber Gofi,
mich stört gar nicht mal so sehr das „Schmuddelige“ an King, vielmehr befriedigt mich seine Erzählweise und Sprache nicht wirklich. Ich bin halt vom Typ her mehr so der Melancholiker, deshalb ist mir schnell was nicht tiefgründig und subtil genug. Ich liebe übrigens den schwedischen Autor Per Olof Enquist sehr, dessen Roman „Lewis Reise“ über die schwedische Pfingsbewegung und im Speziellen über den Pfingstpastor Lewi Petrus ich Euch ans Herz lege. Auch „Der Sekundant“ von ihm war für mich ein unglaublich schönes Buch. Soviel zu meinen Bekehrungsversuchen.
Liebe Grüße Euch Beiden
Bernhard
Klingt nach nem guten Deal. Kann bei mir allerdings ein bisschen dauern, da ich nicht so viel und schnell lese.
LG,
der Jay
Super! Wenn Du willst, kann ich Dir das Buch auch zukommen lassen.
LG
Bernhard
Hi Bernhard,
ich kann die literarische Kritik an King auf jeden Fall teilen. Ist halt kein Klassiker. Kommt aber natürlich auch ein Stück weit darauf an, was man in einem Roman eigentlich sucht / erwartet.
Dass in „Der Anschlag“ dann nochmal (!) Derry vorkommen muss und Pennywise aus der Kanalisation flüstert, fand ich auch ziemlich beknackt. Solche Moves schaden irgendwie beiden Büchern…
Ich würde aber sagen:
1) INNERHALB des Genres Horror / Thriller etc. ist Stephen King (er selbst sieht sich ja m.W. eher als Fantasy-Autor) noch einer der „anspruchsvolleren“. Und zwar gerade wegen der Halbwelt, die er konstruiert. Der Schrecken ist das Andere, aber auch immer das Diesseitige. Ich finde, das hat was und das gelingt ihm auch.
2) Innerhalb von Kings Gesamtwerk ist „Es“ m.E. am ehesten das Buch, das man kennen muss. Einfach auch, weil es ein Genre-Klassiker ist.
Horror als Genre spielt ja generell mit den Ängsten der Kindheit: mit dem Monster im Schrank / unter dem Bett etc.; im Horrorfilm rühren Puppen und Spieluhr-Melodien an diesen Topos. Das ist in „Es“ wirklich mal gründlich ausgearbeitet.
Und die Erzähltechnik ist – für einen Genre-Roman aus diesem Genre – schon vergleichsweise anspruchsvoll und effektiv.
Ich selber habe mir das Buch vorletztes Jahr als Hörbuch reingezogen, das hat es auch nochmal aufgewertet, ich weiß nicht, ob du damit was anfangen kannst.
Hi Florian,
mir gehts gar nicht so sehr um die „Klassiker“ als solche. Ich konnte z.B. mit Dostojewskis „Die Brüder Karamasow“ auch nicht viel anfangen, wohingegen ich Solschenizyn sehr gerne lese. Aber auch weniger bekannte Autoren wie Manfred Hausmann, Per Olof Enquist oder Willy Kramp, um nur ein paar zu nennen, bringen oft eine Saite in mir zum Klingen. Wobei ich da noch tiefer in mich reinhören müsste, um zu verstehen, was das genau ist, was mich so anspricht. Ich denke mal, es ist eine bestimmte seelische Tiefe, eine Poesie, etwas Tieferliegendes im Gegensatz zur Plattheit und Oberflächlichkeit.
Zu Hörbüchern hab ich generell keinen Bezug. Ich glaube, daß das gesprochene Wort auf mich weniger Wirkung ausübt und mich weniger „reinzieht“, als das gedruckte.
Hey ihr beiden,
ja, wo fange ich jetzt and und wo höre ich auf… Hab die Folge mit Freude gehört. Auch weil es gerade bei mir eine starke Verbindung zwischen King und Kirche, Glauben und Gott gibt. Und bei dir, Jay, ja auch irgendwie. Allerdings ist meine Geschichte da nochmal anders.
Ich hatte doch tatsächlich „ES“ im Erscheingsjahr gelesen, Deutschland 1986. Ich hatte anfang des Jahres mit Feuerkind den ersten King gelesen, dann Shining, Cujo, Christine und dann ES. Ich war 15. ES ware einfach irre und ist bis heute mein Lieblings-King (inzwischen wohl gleichauf mit 11/22/63, was ja nette Referenzen zu ES hat, falls du, Jay, es noch nicht kennst, unbedingt empfehlenswert).
Dann ging es weiter über die Jahre, und irgendwie musste ich mich immer in meinem Umfeld verteidigen, warum ich so einen Schund lese. Tja. Bei meinem Deutschlehrer allerdings nicht. Der hatte damals dem Deutschleistungskurs die King-Novelle „Die Leiche“ reingedrückt (Stand by Me als Film). Aber egal. Dann kam der fundamentalistisch angehauchte Glaube dazu und irgendwie hatte ich das Gefühl, King is böse und meine Leidenschaft zu seinen Büchern auch. Ich hatte da über Jahre innerlich Konflikte, aber irgendwie hatte ich auch das Gefühl, dass ich King irgendwie kenne und mag und will, dass es ihm gut geht. Ich hatte ja keine Ahnung, wie es ihm geht, aber ich dachte, es geht ihm nicht gut. Schließlich habe ich mich von den Büchern verabschiedet, damal war gerade Schwarz und Drei erschienen, und Tommyknockers, was ich (neben Friedhof der Kuscheltiere) so richtig doof fand, und damit hab ich dann Schluss gemacht.
Aber ich hatte einen Pakt mit mir geschlossen. Falls King es wahr macht und die Dunkle Turm Reihe fertig schreibt (er hatte sie ja zu der Geschichte erklärt, die alle anderen umfasst) dann werde ich die lesen. Und dann hab ich Gott gefragt King zu retten (ja – klingt ein bisschen christlich fundamentalistisch irre)… Und ich habe Gott gebeten mir durch das Ende der Dunklen Turm Reihe zu zeigen, ob King gerettet ist…
Dann kam 10 Jahre King-Pause. Und irgendwann wurde ich wieder freier im Kopf und löste mich zart und langsam von den fundamentalistischen Vorstellungen und las wieder den einen oder anderen King… Aber zunächst den dritten und vierten Band der Dunklen Turm Reihe. Es wurde ja immer wirrer… Aber als dann schließlich die letzten Bände rauskamen, King sich in die Geschichte selbst reinschreibt und tatsächlich gerettet wurde, dachte ich nur, hm, ist ja alles nett, aber die Rettung ist ja nicht das Ende des Buches. Das Ende ist ja – nun ja – ich will mal nix spoilern….
So brauchte es noch weiter Bücher und weitere Jahre, bis ich King, Gott und Glauben auf einen Nenner gebracht hatte. Heute sprudeln meine geistlichen Erfahrungen nur so über, wenn ich an The Dark Tower denke, inklusive und gerade den 8. Band The Wind Through the Keyhole. Auch durch sein On Writing, wo er auch über Symbolik seiner Bücher schreibt, was mir ein klares Ja auf die ursprüngliche Frage geben hat: King is gerettet. Mehrfach.
Also, ich habe mich ein bisschen treiben lassen und wirres Zeug geschrieben. Hätte ja total Lust über all sowas mit euch zu klönen. Es gibt ja nicht so viele, die King, Glauben und Gott zusammenbringen.
Falls ihr tatsächlich noch bis hierhin gelsen habt, danke nochmal für die nette Episode und lieben Gruß aus London (wohin es mich inzwischen verschlagen hat und warum ich bei den Titeln irgendwann ins englische gewechselt bin, weil die Bücher mir unter dem Originaltitel vertrauter geworden sind.)
Macht’s gut ihr beiden – und weiter so!
Roy
Hallo Roy,
danke fürs Mitnehmen auf Deine Reise ins Land des Kings und wieder heraus und wieder zurück. Ein bisschen wie The dark Tower… Ich verbinde ja ähnlich viele Emotionen mit dem literarischen Werk von ihm, gerade weil es mich in meinem Krisen-Jahrzehnt so intensiv begleitet und irgendwie ja auch aus der Fundamentalismusfalle herausgeholfen hat. Die Frage, ob King gläubig ist, habe ich mir schon auch gestellt. Die Frage ob er gerettet ist, nie. Haha. Die Kategorie habe ich wohl irgendwann liegen lassen und nicht wieder mitgenommen.
Danke für den spannenden Reisebericht.
LG,
der Jay
Hey Jay,
Ja, das mit dem “gerettet” würde ich heute so auch nicht mehr denken. Um so spannender, dass King aber trotzdem seine buchstäbliche Rettung im Dark Tower beschreibt. Und dann noch von einem JC. Das die Initialen eine Bedeutung haben könnten, habe ich im On Writing gelesen, als er sich Sorgen machte dass John Coffey’s (aus The Green Mike) Initialen zu platt an Jesus Christ anlehnen.
King sagt über sich selbst, dass er an Gott glaubt und die Bibel liest… so würde ich auch meine Spiritualität zusammen fassen. Schon lustig, das alles…
Und deine Beobachtung mit King als Gott seines eigenen Buchs? Ist das nicht im Dark Tower aufgegriffen, dass King’s fiktiver Gott Gan ist, er als King als Autor über Gan steht und es aber trotzdem jemanden gibt der über King ist?
LG
Roy
Ihr Lieben,
ich wollte heute im Auto Eure letzte Hossa-Talk-Folge mit Michael Blume fertig hören und kam leider nicht mehr auf Eure Website. Auch zuhause am Laptop funktionierts nicht. Woran könnte das liegen? Haben auch andere das Problem?
Liebe Grüße
Bernhard
Ja, leider schon. Wir haben technische Probleme. Sorry. Es gibt die Folge aber noch bei iTunes, Spotify und so.
Hey Roy, was für ein geiler Bekingungsbericht du da weiter oben abgegeben hast!! Den habe ich mit Genuss gelesen. Und tja, wie soll man King, Gott und den Glauben nicht auf einen Nenner bringen können, wenn man in tausend Songs ‚Jesus is the King‘ gehört oder gesungen hat?
Ich finde King als Schriftsteller ganz gross, diese ehrliche Schreibweise, die Einfachheit und auch die Vielfalt. Man kann ihn nicht in eine Schublade packen, und wenn man es versucht, tut man ihm Unrecht. Gerade On writing ist für mich unglaublich wichtig und hat mir sehr geholfen bei meinem eigenen Schreiben. Und The Green Mile ist sowieso genial, tiefsinnig und beeindruckend. Wegen solchen Geschichten lohnt sich das Leben! Eines meiner Lieblingszitate aus the Green Mile ist: but people love a hypocrite, you know – they regognize one of their own, and it always feels so good when someone gets caught with his pants down and his dick up and it isn’t you… Ich liebe es wie King die Dinge auf den Punkt bringt. Auch the Shawshank redemption, einfach top! Und naja, die Kuscheltiere hätte er besser im Bett gelassen, aber hey, nobody’s perfekt!